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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 02.05.2005:

"Die Habilitation ist ein Auslaufmodell"

Eine Bilderbuchkarriere: Die Ex-Juniorprofessorin Claudia Kemfert
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Prof. Dr. Claudia Kemfert

Bildung PLUS: Trotz aller Diskussionen um die Juniorprofessur, trotz des BVG-Urteils vom vergangenen Jahr und fehlender Perspektiven sind Sie überzeugt, dass die Juniorprofessur der richtige Weg ist. Warum?

Kemfert: Die Juniorprofessur bietet sehr flexible Möglichkeiten in eigenständiger Lehre, Forschung und der Arbeitsgestaltung - und das bereits in jungen Jahren. Man hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Professor, vor allem auch in Bezug auf die Betreuung von Doktoranden. Diese Selbstständigkeit gab mir zum Beispiel die Möglichkeit, ein eigenes Profil aufzubauen und mir auch in nationalen und internationalen Netzwerken einen Namen zu machen.

Bildung PLUS: Kritiker der Juniorprofessur sprechen ja gerne von einer "McDonaldisierung" der Wissenschaft. Ist da nicht doch was dran?

Kemfert: Nein. Das Gegenteil ist der Fall: Bei einer Juniorprofessur wird im Gegensatz zu einer klassischen Habilitation nach knapp drei Jahren eine umfangreiche Evaluation durchgeführt. Diese Evaluation geht weit über das hinaus, was in einer Habilitation abgefragt wird. Sie müssen zeigen, dass sie publiziert, geforscht und Forschungsprojekte akquiriert haben. Darüber hinaus werden Ihre Managementqualitäten unter die Lupe genommen und geschaut, wie Sie eigene Doktoranden leiten und in internationalen Netzwerken aktiv sind. Das sind Qualitätskriterien, die es in diesem Umfang bei der Habilitation nicht gibt.

Bildung PLUS: In einer Rede führten Sie drei Punkte an, die wichtig sind, um wissenschaftlichen Nachwuchs an den Unis zu halten: Eigenständigkeit, gute finanzielle Ausstattung und Karriereperspektiven. Trotz ihres engagierten Eintretens für die Juniorprofessur erfüllt diese ja nicht alle Kriterien?

Kemfert: Das stimmt. Die Personalsituation muss dringend verbessert werden, denn es kann nicht sein, dass man alle Aufgaben, die auf einen zukommen, ohne Sekretariat oder Assistenz leistet. Außerdem sollten die Karriereperspektiven deutlich verbessert werden: Juniorprofessoren brauchen spätestens nach drei Jahren, wenn sie evaluiert werden, eine Perspektive für die Zeit danach. Zum Beispiel die konkrete Aussicht auf einen Professorenstelle, ohne sich wieder neu zu bewerben. Diese Punkte sind wichtig, haben aber nichts mit der Qualität der Juniorprofessur an sich zu tun.

Bildung PLUS: Nun haben Sie nach der Juniorprofessur eine normale Professoren-Stelle an der Humboldt-Universität bekommen. Die Juniorprofessoren von heute dagegen befinden sich in einer vertrackten Situation, weil die Zukunft sehr unsicher ist. Wenn Sie jetzt noch Juniorprofessorin wären, was würden Sie machen? Habilitation, auf bessere Perspektiven hoffen oder sich nach etwas anderem umschauen?

Kemfert: Ich würde auf keinen Fall zusätzlich habilitieren, weil die Juniorprofessur Qualifikation genug wäre. Wenn ich noch Juniorprofessorin wäre, würde ich entweder versuchen, einen "Tenure-Track" zu bekommen, also die Option auf eine Professorenstelle, oder mich eben nach meiner Juniorprofessur auf eine Professorenstelle bewerben.

Bildung PLUS: Laut dem BVG-Urteil vom vergangenen Jahr bleibt es den Bundesländern überlassen, ob sie Juniorprofessur, Habilitation oder beides bestehen lassen. Geht das auf Dauer gut?

Kemfert: Ich plädiere nachdrücklich dafür, dass die Habilitation abgeschafft wird. Die Habilitation ist ein Auslaufmodell. Die meisten Universitäten in Deutschland wollen Juniorprofessoren und das bedeutet, dass sie sich von der Habilitation mittelfristig verabschieden müssen. Im Moment existiert eine Unsicherheit, die dazu führt, dass Juniorprofessoren parallel zu ihrer Tätigkeit auch noch eine Habilitation anstreben um auf Nummer Sicher zu gehen. Das ist natürlich nicht der Sinn der Sache.

Bildung PLUS: Ihre Bilderbuchkarriere zeigt ja, wie es in der Zukunft gehen könnte. Glauben Sie, dass ihr Beispiel trotz des aktuellen Wirrwarrs Schule machen kann?

Kemfert: Das wird definitiv so sein. Man wird in zehn Jahren darüber schmunzeln, dass man heute noch über das Für und Wider der Juniorprofessur gestritten hat. Qualität setzt sich schließlich immer durch. Die Berufungskommissionen an den Universitäten praktizieren das ja zum größten Teil heute auch schon so, dass sie weniger auf Habilitationen, denn auf internationale Publikationen achten.

Bildung PLUS: Sie haben ja auch schon in Italien und den USA gelehrt. Wie kümmern sich die Universitäten dort um den wissenschaftlichen Nachwuchs?

Kemfert: Im Ausland kann man nach der Promotion zum Juniorprofessor aufsteigen (Assistenzprofessor) und kommt später, vorausgesetzt man erfüllt die Evaluationskriterien, auf eine reguläre Professorenstelle. Das ist der schon erwähnte Tenure-Track. Diese konkrete Perspektive für die Zeit nach der Juniorprofessur gibt es in Deutschland leider nicht. Ansonsten ist die Juniorprofessur hierzulande eine Kopie dessen, was in anderen Ländern schon längst praktiziert wird.

Bildung PLUS: Wie beurteilt man denn im Ausland die deutsche Diskussion um Juniorprofessur auf der einen und der Habilitation auf der anderen Seite?

Kemfert: Im Ausland beobachtet man die deutsche Diskussion um die Juniorprofessur mit großer Verwunderung. Es ist Ausländern nicht zu vermitteln, warum man hierzulande über Selbstverständlichkeiten nachdenken und diskutieren muss. Außerdem kennt man im nicht-deutschsprachigen Raum die Habilitation überhaupt nicht. Ein Modell, bei dem man viele Jahre mit dem Schreiben eines Buches verliert, das darüber hinaus meistens nur auf deutsch verfasst wird und so einen sehr begrenzten, nationalen Leserkreis hat. Auf dem internationalen Parkett zählen aber die Publikationen in international angesehenen Fachzeitschriften.

 

Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professorin für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität Berlin. Davor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin (1995 -1998) und Juniorprofessorin für angewandte Umweltökonomie (2002-2004 ) an der Universität Oldenburg.

 

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 02.05.2005
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