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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 22.11.2004:

"Leistung muss sich bezahlt machen"

"Lehrer des Jahres" begeistert seine Schüler seit 30 Jahren für Technik
Das Bild zum Artikel
Winfried Sturm

Bildung PLUS: Die Schüler rennen der HAG-High-Tech-Tüftlerschmiede an Ihrer Schule, die Sie vor 22 Jahren gegründet haben, auch heute noch die Türen ein. Wie schaffen Sie es, immer neue Schülergenerationen für Technik zu begeistern?

Sturm: Das liegt zum einen daran, dass die Hardware-AG (HAG) tolle Projekte macht, die einen innovativen Charakter haben. Da wir zahlreiche Bundeswettbewerbe gewonnen haben, bleibt das in der Öffentlichkeit und auch in der Schule natürlich nicht unbeachtet. Dieser Erfolg lockt viele Interessenten an - und das vererbt sich dann von Schülergeneration zu Schülergeneration.

Bildung PLUS: Ihre Schüler, die Sie zum "Lehrer des Jahres" vorgeschlagen haben, waren sicher nicht nur von den tollen Projekten so begeistert...

Sturm: Natürlich gehört auch noch etwas mehr dazu. In meinem Unterricht bin ich hochmotiviert, weil mir meine Fächer Physik und Mathematik unheimlich viel Spaß machen. Wenn die Pausenglocke klingelt, kommt es mir auch heute noch oft so vor, als wären erst ein paar Minuten vergangen. Das merken die Schüler natürlich. Außerdem beziehe ich die Schülerinnen und Schüler in den Unterricht mit ein und versuche sie mit anschaulichen Versuchen und Alltagsproblemen zu motivieren.

Bildung PLUS: Ist die HAG ein Herrenclub oder hat sich auch schon mal ein Mädchen dahin verirrt?

Sturm: Bis vor fünf Jahren waren es tatsächlich ausschließlich Jungs. Dann kam ein Mädchen dazu, das von den Jungs sofort voll integriert wurde. Inzwischen hat sich der Anteil der Mädchen auf 30 Prozent erhöht. Wenn wir mal 50 Prozent erreicht haben, gebe ich mich zufrieden.

Bildung PLUS: Mit der Entwicklung eigener innovativer Mikrochips haben Sie schon zahlreiche Preise und Bundeswettbewerbe gewonnen. Hält das Interesse Ihrer Schüler auch über das Abitur hinaus an?

Sturm: In den 22 Jahren hatte ich schon weit über 250 Schüler in der HAG. Davon haben 80 Prozent später einen beruflichen Weg eingeschlagen, der in Richtung Maschinenbau, Naturwissenschaft, Informatik oder Elektrotechnik führte. Unter meinen ehemaligen Schülern sind auch viele im Management großer Unternehmen, darunter auch fünf Firmengründer. Wir verlieren uns nicht aus den Augen, sondern haben ein Netzwerk aufgebaut, aus dem auch wieder tolle Kooperationen entstehen.

Bildung PLUS: Was halten Sie von Projekten wie Sinus, Teutolab oder Piko, die das Interesse der Schüler für naturwissenschaftliche Fächer wecken soll?

Sturm: Wenn all diese Projekte so angelegt sind, dass sie nicht nach einem Jahr auslaufen und die Schüler hängenlassen, sondern ihnen Folgeprojekte anbieten, die eine gewisse Kontinuität bieten, finde ich das gut. In die HAG kommen die Schüler üblicherweise in der 9. Klasse und bleiben meistens bis zum Abitur. Nur mal reinschnuppern bringt wenig.

Bildung PLUS: Warum haben Lehrer in Deutschland so ein schlechtes Image und können Imagekampagnen daran etwas ändern?

Sturm: Die bisherigen Imagekampagnen sind ein viel versprechender Start, aber es müsste in dieser Richtung noch viel mehr getan werden. Und zwar aus einem einfachen Grund: In der öffentlichen Wahrnehmung kommen die Lehrer immer noch sehr schlecht weg, weil die Medien auch immer gerne nach den "schwarzen Schafen" fahnden. Die gibt´s unter den Lehrern natürlich genauso wie in jeder anderen Berufsgruppe, nur auf den Lehrern wird am liebsten herumgetrampelt. Der Lehrer bietet sich für Klischees natürlich an, denn jeder in diesem Land war einmal in der Schule und hat mit Lehrern seine subjektiven Erfahrungen gemacht. Jeder kann heute über Schule mitreden. Seit PISA ändert sich das ein wenig: Die Medien berichten nun auch über die hohe Erwartungshaltung an die Lehrer, die vom Erzieher bis zum Entertainer alle Funktionen erfüllen sollen. Die Kampagnen müssen sich deshalb noch viel massiver für den Beruf des Lehrers einsetzen und auch die Presse sollte sich mehr hinter die Bildung stellen als immer nach dem Motto "bad news are good news" dagegen ankämpfen zu wollen.

Bildung PLUS: Sie sprechen von Motivationsbremsen für Lehrer. Was ist konkret damit gemeint?

Sturm: Es gibt viele Lehrer, die sehr viel ihrer persönliche Freizeit für die Bildung opfern. Eine Leistungsanerkennung für außergewöhnliches Engagement, das nicht dem "Dienst nach Vorschrift" entspricht, gibt es aber quasi nicht. Deshalb bin ich entschieden dafür, die Bezahlung für Lehrer zu ändern: Neben einem Grundgehalt sollen diejenigen, die mehr machen, dafür auch eine finanzielle Anerkennung bekommen und die "schwarzen Schafe" sollen ruhig finanzielle Abschläge in Kauf nehmen. Leistung muss sich bezahlt machen. Fehlende Leistungsanreize wirken als Motivationsbremsen, weil man das gleiche Geld bekommt, egal wie viel man arbeitet oder sich in ganz besonderem Maße einsetzt. Wenn ich nicht ein Kämpfertyp wäre, hätte ich wahrscheinlich alles schon längst in die Ecke geworfen. Natürlich muss vor allem die Lust zum Unterrichten vorhanden sein, denn aus einer Motivation, die sich nur aus Geld speist, kann auch nichts Positives resultieren.

Bildung PLUS: Man bezeichnet Sie mitunter auch als "Bildungsrebell". Gegen was rebellieren Sie denn außer den Motivationsbremsen?

Sturm: Ich rebelliere schon seit vielen Jahren gegen das verkrustete bürokratische System. Alles, was man in der Schule beantragen will, läuft über tausend Dienststellen und Anträge. Da ist für Spontanität oft kein Platz mehr. Aber gerade die Spontanität ist die Quelle der Motivation. Ich selbst bin ein Erfinder und Tüftler und weiß, dass man neue Ideen möglichst schnell realisieren will und auch muss. In der Schule setzen sich die bürokratischen Räder äußerst langsam in Bewegung. Diese Strukturen müssen dringend reformiert werden. Genauso sollte eine Schule vom Management her so geleitet werden wie ein mittelständisches Unternehmen und sollte sich auch sein Personal selbst aussuchen dürfen. Diese Probleme haben auch die Politiker längst erkannt, aber für meinen Geschmack wird immer noch zu viel geredet und zu wenig getan.

Bildung PLUS: Viele Lehrer klagen über Burn-Out-Syndrome, lassen sich früh pensionieren oder dienstunfähig schreiben. Sie dagegen klingen selbst nach 31 Jahren Unterricht sehr motiviert. Woher nehmen Sie diese Energie?

Sturm: Meine Eltern sind mit uns Kindern in den 50er Jahren aus der damaligen DDR geflüchtet. Wir besaßen rein gar nichts und haben auf Matratzen geschlafen, die wir auf dem Sperrmüll gefunden haben. Trotz dieser entbehrungsreichen Zeit habe ich von meinen Eltern vorgelebt bekommen, dass es sich lohnt, eine Idee so lange zu verfolgen, bis man sie realisiert hat. Motivation ist mir in die Wiege gelegt worden und dafür bin ich meinen Eltern heute noch sehr dankbar. Das ist bei der heutigen Jugend anders. Die Jugendlichen haben oft keine große Ausdauer mehr, sind nicht mehr so belastbar. Das ist aber nicht ihnen anzulasten, sondern ist die Schuld der Spaßgesellschaft und zum Teil auch der Eltern. Ich hoffe, dass sich die Gesellschaft in Zukunft wieder auf die wichtigen Tugenden besinnt und Materialismus und Raffgier wieder in den Hintergrund treten. 

Diplom-Physiker Winfried Sturm ist 59 Jahre alt. Er begann seine pädagogische Laufbahn 1974 am Faust-Gymnasium in Staufen (Baden-Württemberg), an dem er auch heute noch tätig ist. Der Lehrer, Tüftler und Erfinder unterrichtet in den Fächern Physik, Mathematik und Informatik. 1982 gründete er die Hardware-AG (HAG) und gewann seitdem mit seinen Schülern in zahlreichen Wettbewerben Preise und Auszeichnungen. 

 

Autor(in): Udo Löffler, Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 22.11.2004
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