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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 05.07.2004:

"Mamis letzte Hoffnung"

Begleitforschung zur Kinder-Uni Münster

Von Dr. Dagmar Bergs-Winkels

"Der, die, das, wer, wie, was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm..." Nicht erst seit der Sesamstrasse ist bekannt, dass Kinder die Welt mit offenen Augen sehen und ihr mit einer Vielzahl von Fragen und großer Neugier begegnen. Dabei wird der Wissensdurst auf unterschiedlichsten Wegen gestillt: Durch Fragen an Eltern, und andere Erwachsene, an Geschwister sowie Freundinnen und Freunde, durch Lesen, durch Medien, durch eigenes Forschen - um nur einige mögliche Wege zu nennen - und natürlich durch unsere Bildungsinstitutionen. In diesem Bereich nimmt die Schule mit eindeutig bestimmten Bildungsinhalten sicherlich den größten Raum ein.

Vorbild Uni Tübingen
Aber auch die Universität als Bildungsinstitution, die auf Erwachsene ausgerichtet ist, wendet sich nun zunehmend Kindern und Jugendlichen zu. Dem Vorbild der Tübinger Eberhard-Karls-Universität folgend, die im Jahre 2002 die erste Kinder-Uni ins Leben rief, luden im Wintersemester 2003/04 die Westfälische Wilhelms-Universität und die Westfälischen Nachrichten erstmals zu einer eigens für Kinder konzipierten Vorlesungsreihe, der ersten Münsteraner Kinder-Uni, ein. In Kooperation mit dem Internationalen Centrum für Begabungsforschung und dem Institut für Empirische Pädagogik wurde die Veranstaltungsreihe evaluiert. Die wissenschaftliche Begleitung wurde von Studierenden und Hilfskräften im Rahmen des von Frau Dr. Dagmar Bergs-Winkels angebotenen Seminars "Empirische Forschungsmethoden" realisiert .

Das Projekt hatte das Ziel, durch Auswertung der bisherigen Erfahrungen zur Optimierung der noch folgenden Veranstaltungsreihen beizutragen. Im Rahmen der Studie wurden Kinder und Eltern per Fragebogen befragt. Es fanden Beobachtungen während der Vorlesungen statt, die Professoren wurden interviewt und ein Film mit Eindrücken zur Vorlesungsreihe wurde gedreht. Insgesamt nahmen 40 Studierende an der Begleitstudie teil.

Die realisierte Stichprobe umfasste 463 Kinder und 242 Eltern. Bei den Kindern war das Geschlechterverhältnis ausgeglichen, bei den Eltern haben doppelt so viele Mütter wie Väter mitgemacht. Das Durchschnittsalter der Kinder betrug 9 Jahre. Angekündigt ist die Veranstaltung für 8 bis 12 jährige, die meisten Kinder, die zur Kinderuniversität kommen, sind 8-10 Jahre alt. Außerhalb dieser Alterspanne wird die Kinder-Uni eher von jüngeren als von älteren Kindern besucht, d.h. von Kindern zwischen 5 und 7 Jahren. Tendenziell ist also zu erkennen, dass die Kinder-Uni eher Kinder im Grundschulalter als im Sekundarschulalter anspricht.

Auditorium - überwiegend Grundschüler und Gymnasiasten
Eine Tendenz, die sich durch die von den Kindern angegebenen Schulformen bestätigt. Das Verhältnis der Schulformen, die von den befragten Kinder besucht werden, lässt sich durch 2/3 zu 1/3 ausdrücken. Der größere Teil der Kinder besucht noch die Grundschule. Lediglich 1/3 der Kinder besuchen eine weiterführende Schulform, fast ausschließlich Gymnasien. Die Besucher der Kinder-Uni kommen überwiegend aus der Umgebung von Münster. Einige Besucher kommen jedoch sogar aus anderen Bundesländern, so z.B. aus den Städten Göttingen, Weimar oder Kassel.

Der Grad der Zufriedenheit der Kinder mit der Kinder-Uni wurde über drei Bereiche gemessen, zum einen ob die Veranstaltung Spaß gemacht hat, zum anderen ob die Kinder das Gefühl haben, alles verstanden zu haben und drittens darüber, ob sie die Vorlesung interessant fanden. Bei allen drei Aspekten bewegen sich die Angaben der Kinder überwiegend im sehr positiven bis positiven Bereich. Um Anregungen für künftige Vorlesungen geben zu können, wurden die Kinder in der Begleitstudie nach besonders beeindruckenden Elementen der einzelnen Vorlesungen gefragt und sie wurden um Verbesserungsvorschläge gebeten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kinder offenbar auf die eigene Erfahrungswelt zurückgreifende Anregungen und Erklärungen besonders gut aufnehmen und verstehen. Dabei unterstützen vor allem Visualisierungstechniken, die Verwendung von Gegenstände und Bildern, sowie metaphorische Darstellungen das Verständnis komplizierter Sachverhalte. Auch die Interaktion mit den Professoren hat dafür gesorgt, dass bestimmte Inhalte sich einprägten. Die Verbesserungsvorschläge der Kinder bezogen sich inhaltlich auf den Wunsch nach noch detaillierteren Informationen zu den Themen und methodisch auf die Vermeidung von Fremdwörtern. Gefordert wurden noch mehr Bilder in den Präsentationen und organisatorisch wurde angeregt, z.B. durch das zur Verfügung stellen von Mikrophonen
eine höhere Beteiligungsquote von Kindern zu erreichen.

Wunschthemen für die Kinderuni
Die Wunschthemen für zukünftige Vorlesungen sind meist sehr konkret. Häufig werden Tiere genannt und Themen aus den Naturwissenschaften. Besonders interessant war der Vergleich von Schule und Universität. Vorteilhaft an der Kinderuni fanden die Kinder, dass es "keine Hausaufgaben und Noten gibt, dass man nicht schreiben, rechnen oder aufzeigen muss". Beeindruckend war für die Kinder die Größe der Veranstaltung: Es nahmen jeweils ca. 800 Kinder an den Vorlesungen teil. Am Besten aber war, "dass man nicht leise sein muss". Nahm man allerdings an den Veranstaltungen teil, zeigt sich, dass die Kinder sehr konzentriert und überwiegend leise waren, selbst wenn ihre eigene Wahrnehmung war, nicht leise sein zu müssen. Offenbar waren die Veranstaltungen so gut, dass die Kinder aus eigenem Interesse leise waren.

An der Schule wurde im Vergleich positiv hervorgehoben, dass die kleineren Gruppen ein individuelleres Eingehen auf Bedürfnisse ermöglichten. Befragt nach dem Bild von Professoren, das die Kinder nach den Vorlesungen hatten, wurden diese als freundlich, schlau aber nicht allwissend, locker und lustig beurteilt. Adjektive wie gut aussehend , lehrerhaft oder kumpelhaft wurden selten angegeben. Bei dieser Frage hatten die Kinder die Möglichkeit, auch eigene Adjektive und Eigenschaften anzugeben. Hier wurde vor allem der Humor und die guten Witze gewürdigt, und die Professoren wurden häufig als sehr kinderfreundlich erlebt. Die Kinder haben keine Berührungsängste. Dies wird durch die Beobachtung bestätigt, dass nach jeder Vorlesung Kinder sich an den Professor wandten, um Fragen zu stellen oder sich zu unterhalten.

Was Eltern von der Kinderuni erwarten
Bei der Befragung der Eltern wurden folgende Gründe für den Besuch der Kinderuni immer wieder genannt: Interesse wecken an Studium, Universität, Wissenschaft, neuen Themen; Vorbereitung auf das Abitur; Uni-Atmosphäre, Uni-Luft schnuppern; Erweiterung des Horizonts; schulische Unterforderung ausgleichen; Hochbegabung der eignen Kinder und die Hoffnung mit solchen Angeboten wie der Kinder-Uni neue Lernanreize zu schaffen oder zu zeigen, dass Wissensvermittlung auch anders als in der Schule laufen kann; Hemmschwelle vor Universität nehmen; Event-Charakter; Kinder-Uni als Alternative zur Spaßgesellschaft; lehrreiche Freizeitgestaltung; Neugierde von Kindern befriedigen und wecken; Lernen positiv unterstützen; eigene Biografie vermitteln.

Immerhin 86 Prozent der befragten Eltern haben selbst studiert und können den Kindern so Einblick in einen Teil ihrer Entwicklung ermöglichen. Sie erachten die Universität als Bildungsinstitution mit einem Bildungsauftrag, der sich nicht nur an Studierende oder Gaststudierende -häufig Seniorinnen und Senioren - richtet, sondern auch an Kinder mit ihren spezifischen Bedürfnissen. Zusammenfassend lassen sich diese Aussagen als Ausdruck einer hohen Bildungsaspiration der Eltern verstehen. Diese Eltern empfinden das Angebot offensichtlich als zusätzlichen möglichen Lernort für ihre Kinder, vom dem diese in ihrer individuellen Bildungsbiographie profitieren.

... und die Kinder?
Wie haben die Kinder von der Kinderuni erfahren? Die meisten Kinder geben als Informationsquelle die Eltern an erster Stelle und die Zeitung an zweiter Stelle an. Nur wenige haben in der Schule davon erfahren. Die Eltern ihrerseits sind überwiegend durch die Artikel in den Westfälischen Nachrichten auf die Kinder-Uni aufmerksam geworden. Bezogen auf 242 Nennungen der Eltern entfielen 63 Prozent auf die Zeitung, 15 Prozent auf Bekannte, 8,5 Prozent auf die Schule, 5 Prozent auf das Internet, 3,8 Prozent auf das eigene Kind, 3,5 Prozent auf sonstige Angaben und 1 Prozent auf das Radio. Aufgrund dieser Daten lässt sich vermuten, dass vor allem die Eltern die Kinder zum Besuch der Kinder-Uni angeregt haben, was sich auch mit mündlichen Äußerungen der Kinder deckt. " Meine Mutter hat gesagt, da gehen wir jetzt hin! Also mussten wir hin. Aber es war toll."

"Das hat eigentlich etwas mit Liebe zu tun..."
Um die Motivation der Professoren zu beschreiben, die sich an der Vorlesungsreihe beteiligt haben, ist wohl das Zitat des Mediziners am Besten geeignet:

"Es reizt mich einfach, anderen Menschen die Dinge weiterzugeben, die mich selbst begeistern. (...) Das hat eigentlich etwas mit Liebe zu tun, im weiteren Sinne. Was einem am Herzen liegt, das möchte man demjenigen, den man mag, ja auch weitergeben."  Prof. Dr. Speckmann

Entgegen aller Vermutungen ist es nicht die Intention der Professoren, die Kinder als zukünftige Studierende für ihre Fachgebiete zu gewinnen. Alle sind sich darin einig, dass sie die Kinderuniversität nicht als Plattform für Werbung für die Universität nutzen wollen. Es ist dennoch eine Intention, die Universität zu repräsentieren und einen Einblick in das Universitätsleben zu gewähren.

Insgesamt kann man die Veranstaltungsreihe als sehr gelungen ansehen. Sie wird in diesem Sinne auch weitergeführt: Die zweite Vorlesungsreihe läuft bereits und eine weitere ist geplant. Auch diesmal gibt es wieder eine Evaluation, wieder in Kooperation mit dem Seminar "Forschungsmethoden in den Erziehungswissenschaften". So haben Studierende gleich zu Beginn ihres Studiums die Möglichkeit, forschungspraktische Erfahrungen zu sammeln. In diesem Sinne ist auch der Titel des ersten Ergebnisberichtes "Die Uni in der Kinder-Uni" zu verstehen.

 

Autor(in): Dr. Dagmar Bergs-Winkels
Kontakt zur Redaktion
Datum: 05.07.2004
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