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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 07.06.2004:

Aber bitte mit Sahne...

Erster Jahreskongress "Innovation durch Partnerschaft - für die Zukunft voneinander lernen"
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Quelle: "Mitdenken, Mitgestalten, Mitverantworten" - Peer Steinbrück, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, eröffnet den Jahreskongress mit dem neuen Leitbild von Schule: der "Schule des 21. Jahrhunderts"

"School is Xerox, you are just a copy", Schule ist eine Kopiermaschine, Schüler lediglich die Kopierexemplare dieser Maschine. Das hatten Schüler auf eine Mauer an einem Bonner Gymnasium geschmiert. Sie befürchteten, dass Schule die Menschen so zurichte, zu Kopien stemple, dass sie im Wirtschaftsleben lediglich zu funktionieren hätten.

Viele Menschen hatten früher eine ausgesprochen negative Einstellung zur Partnerschaft zwischen Schule und Wirtschaft. Geduldet wurde die Präsenz von Wirtschaft in der Schule allenfalls dann, wenn über Annoncen die Schülerzeitung gesponsert wurde. Das war in den achtziger Jahren. 

Stimmung für Schulsponsoring: Heiter bis wolkig
Heute scheint sich bei Schulleitungen und Bildungspolitikern, wenn auch nicht bei allen Schülerinnen und Schülern, das Tief verzogen zu haben. Auf dem ersten Jahreskongress "Innovation durch Partnerschaft - für die Zukunft voneinander lernen" in Neuss weht ein anderer Wind. Draußen scheint die Sonne, drinnen, in der Stadthalle lächeln freundliche Firmenvertreter. Der Jahreskongress bringt Rektoren, Bildungspolitiker und Unternehmer landesweit gemeinsam an einen Tisch- knapp 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Durchgeführt wurde er von der Stiftung Partner für Schule NRW am 27. Mai 2004. Dahinter steht das Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen.

"Das Geringste, was wir gebrauchen können, ist ein Kulturkampf" sagt Ministerpräsident Peer Steinbrück zum Auftakt. Um das Bildungssystem im internationalen Vergleich sowohl in der Breite als auch in der Spitze zu nach oben zu bringen, müssten alle Beteiligten einbezogen werden: Eltern, Lehrer, Schüler, aber auch die Wirtschaft und die Wissenschaft. "Unsere Schulreform setzt auf Mitdenken, Mitgestalten und Mitverantworten", sagt Steinbrück.  

Sein stärkstes Argument: Innovationen können an Schulen nicht greifen, die sich abschotten. Der Erfinder der Glühbirne für die industrielle Massenfertigung, Thomas A. Edison, hätte seine bahnbrechende Erfindung allein und einsam kaum zu Wege gebracht: "Innovation kann vor allem dann entstehen, wenn sich unterschiedliche Partner zusammentun, wie Schule und Wirtschaft", sagt der Ministerpräsident, denn durch sie würden "unterschiedliche Kompetenzen und Ressourcen, Sichtweisen und Talente aufeinander treffen". Den Schulen und der Wirtschaft soll im 21. Jahrhundert gemeinsam ein Licht aufgehen.

Dabei helfen soll die Stiftung Partner für Schule NRW. Schon 17 Unternehmen vom "Apple Computer GmbH" bis "TDS Promethean Deutschland GmbH" unterstützen die Stiftung offiziell. Fünf Millionen Euro sollen für Projekte an Schulen ausgegeben werden, bereits im ersten Jahr seien 800 Schulen erreicht worden. Die neue Stiftung unterstützt das Lernen mit neuen Medien, möchte ökonomische Bildung an Schulen verankern, den Übergang von Schule zum Beruf erleichtern und Bildungssponsoring in Nordrhein-Westfalen voranbringen. Sie versteht sich als Partner von rund 6800 Schulen in Nordrhein-Westfalen.  

"Schule des 21. Jahrhunderts"
Zieht sich der Staat aus der Verantwortung für schulische Bildung zurück? Die Kassen von Ländern und Kommunen sind klamm. So befürchten nicht wenige, dass sich der Staat, indem er die Schleusen für Sponsoring durch Unternehmen öffnet, klammheimlich aus der Verantwortung für die schulische Bildung zurückziehen könnte. Tut er das? Aus der Sicht des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder tut er das nicht. Vielmehr teilt sich der Staat die Bildungsfinanzierung mit privaten Trägern. Er muss es tun, denn für das Kultusministerium ist die "Schule des 21. Jahrhunderts" eine "offene Schule". Um Akzente in der Schulentwicklung setzen zu können, teilen sich Staat und private Träger die Verantwortung. Das Ministerium spricht hierbei von "Verantwortungspartnerschaften". Schulministerin Ute Schäfer sieht das ganz unaufgeregt: "Da sind Hürden eingebaut." Der Nutzen für die Schulen müsse höher sein als der Nutzen für die Unternehmen.

Ein Fast-food-Unternehmen dürfte schwerlich einen Sponsoring-Vertrag mit einer Schule bekommen. Das Sponsoring stünde in diesem Fall nicht in Einklang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, Voraussetzung für grünes Licht beim Sponsoring. Pommes mit Mayo gibt es ohnehin für viel zu viele Kinder zu Hause vor der Glotze. Sponsern können Unternehmen auf unterschiedliche Weise: mit Computern (sachlichen Mitteln), finanziellen Mitteln und Referenten (personellen Ressourcen) oder einfach mit Wissen. Im Unterschied zur Werbung ist Sponsoring projektbezogen.

Sponsoring versus Werbung
So übernimmt etwa die Gemeindeunfallversicherungsverband (GUVW) die Kosten des Theaterprojekts "Berichte über Gewalt - Täter und Opfer erzählen". Der Verband stellt auch die passende Arbeitsmappe. Der Vorteil, den beide Seiten sich davon erhoffen, liegt auf der Hand: Weniger Gewalt an der Schule und weniger Kosten durch Sachbeschädigungen auf der einen Seite, weniger  Behandlungen Verletzter, die Unfallkassen tragen müssen, auf der anderen. Und vereinbar mit dem Erziehungsauftrag der Schulen ist das Theaterprojekt auch noch.  

Direkte Produktwerbung ist hingegen nicht gerne gesehen an Nordrhein-Westfalens Schulen und Werbung für den Genuss von Alkohol und Nikotin ist selbstverständlich verboten. Diskriminierung und Rassenhass durch Werbung oder Sponsoring gehören auch auf Giftliste. Die Aktivitäten der Firmen dürfen überdies den Unterricht nicht beeinträchtigen. Als einziges Land hat Berlin pure Werbung an Schulen zugelassen, alle anderen Länder öffnen Schulen lediglich fürs Sponsoring. 

Schulen mit Sahnehäubchen, Schulen ohne
Welches Interesse haben Unternehmen, wenn sie Schulen sponsern? Nach Helmut Schorlemmer, Schulleiter und Experte für Schulsponsoring, zielen die Unternehmen auf "Imagewerbung in der Öffentlichkeit". Mehr nicht. Sponsoring solle stets Impulse für die Schulentwicklung setzen und dem Schulprogramm dienen.  

Allerdings behält der Staat seine Verantwortung für das Bildungssystem, auch wenn die Wirtschaft sich nun punktuell im Rahmen von Sponsoring einbringt: "Sponsoring soll nur ein Sahnehäubchen sein, keine strukturelle Form der Finanzierung von Schule", meint Gerhard Engelking, Regionales Bildungsbüro Kreis Herford. Er macht außerdem keinen Hehl daraus, dass er es für legitim hält, wenn Unternehmen auch von dem Kontakt mit der Schule profitieren, indem sie ihre Auszubildenden aus dem Kreis der Partnerschule rekrutieren.  

Und die "Außenminister" der Schulen, die Rektorinnen und Rektoren? Sie werden nicht zuletzt durch die Sponsoringaktivitäten zunehmend zu Schulmanagern. Sie planen, kommunizieren, wandeln private Kontakte zur Wirtschaft in bare Münze um. Sponsoring ist "Chefsache" auf Seiten der Schulen und der Unternehmen. Wie Manager wollen Schulleitungen das Beste in erster Linie für die eigene Schule. Das kann zu Schieflagen führen. Damit die Unternehmen sich nicht nur die Rosinen herauspicken, die vorbildlichen und modernen Schulen, soll es einen Fonds für benachteiligte Schulen geben. Es gibt Überlegungen, wonach 20 Prozent der eingehenden Gelder für "arme" Schulen bereitgestellt werden sollen.

Verschwendung von Lebenszeit
Nach Klaus Klemm, Universität Duisburg-Essen, der auf dem Kongress ein Plädoyer für "Bildungsinvestitionen als Grundlage für Wirtschaftswachstum" hielt, wird der Anteil von Kindern aus bildungsfernen Familien drastisch zunehmen. Zur Zeit haben 40 Prozent aller Jugendlicher mit Migrationshintergrund keinen Ausbildungsplatz. Da wirtschaftliches Wachstum von der Ausbildung auch dieser Gruppe abhängt, ginge eine großer Teil möglichen "hochentwickelten Humankapitals" für wirtschafltiches Wachstum verloren.

"Die Schulen gehen mit der Zeit der jungen Menschen ungeheuer verschwenderisch um", sagt Klemm. Deutschland gibt im Vergleich zu skandinavischen Ländern ohnehin viel weniger für den Bildungsbereich aus. Derzeit lässt sich das Land der Dichter und Denker die Bildung gerade mal 100 Milliarden Euro kosten. Um auf das Niveau skandinavischer Länder zu kommen, müsste der Bildungsetat auf 140 Milliarden angehoben und Investitionen in die Bildung müssten gezielter vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund zweifelt Klemm daran, ob es Sinn macht, das Abitur von 13 Jahren auf zwölf zu verkürzen.

Der falsche Weg zur Chancengleichheit für alle Schulen?
"Wir sind dabei, die Einheitlichkeit unserer Lebensverhältnisse aufzugeben", sagt der Wissenschaftler. Die "Wohlstandsspreizung" zwischen Ländern sei erheblich. Einem Bericht von Spiegel-Online vom 17. April 2004 zufolge sammeln westdeutsche Schulen mehr Geld als ostdeutsche. Gymnasien sind beliebtere Partner für Sponsoren als Sonderschulen in sozialen Brennpunkten, Hauptschulen oder Realschulen. Es gilt hier das Motto: "Wer hat, dem wird gegeben." Das ist wie mit den Promis. Die stehen schon im Rampenlicht und obendrein reißen sich alle darum, ihre Türklinken noch blanker zu putzen.  

Während Eltern, Lehrkräfte, Unternehmer und Politiker "Schulen mit Sahnehäubchen" begrüßen, macht sich die Vertretung der Schülerinnen und Schüler in NRW Sorgen um "unabhängige Bildung". Bildungsfinanzierung durch Sponsoring ist für die Schülervertreter die falsche Weichenstellung. Im Arbeitsprogramm 2004/2005 der Landesschülervertretung NRW schreiben sie: "Auch wenn dieses Grundrecht auf staatlich finanzierte, unabhängige Bildung von vielen PolitikerInnen immer wieder in Frage gestellt wird, sollte dabei jedem klar denkenden Menschen offensichtlich sein, dass dies (Werbung, Sponsoring - Anm. der Redaktion) der falsche Weg ist, um junge Menschen im Sinne einer demokratischen, sozialverträglichen und chancengleichen Gesellschaftsordnung zu bilden."

Zwar ist der jeweilige Schulträger verantwortlich dafür, die Sponsoringgelder gleichmäßig an die Schulen zu verteilen, für die er zuständig ist. Doch davon, dass die Unternehmen sich nicht schon vorab gezielt die Rosinen aus dem Kuchen herauspicken und so zum Ungleichgewicht in der Schullandschaft beitragen werden, wird sich die Vertretung der Schülerinnen und Schüler in NRW derzeit wohl kaum überzeugen lassen. Schulsponsoring - ein schwieriger Balanceakt.

 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 07.06.2004
© Innovationsportal

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