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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 15.01.2004:

Zwischen Datenrückmeldung und -nutzung

Wie andere Länder mit großflächigen Tests und ihren Ergebnissen umgehen
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Isabell van Ackeren

Mit den spätestens seit TIMSS und PISA wahrgenommenen Missständen im deutschen Bildungswesen und der sich anschließenden Frage nach Maßnahmen ihrer Behebung sind großflächige Testformate hierzulande in den Fokus der Debatten geraten. Da in Deutschland damit Neuland betreten wurde, fehlt die Praxis bei der Nutzung der zahlreichen Daten. Hier verfügen andere Staaten bei der Durchführung schullaufbahnbegleitender Tests, Abschlussprüfungen und Schulleistungsstudien sowie bei der Rückmeldung entsprechender Ergebnisse einerseits und bei der ihrer Nutzbarmachung andererseits über einen Vorsprung. Sie haben dabei, wie exemplarisch an England, Frankreich und den Niederlanden deutlich wird, unterschiedliche Wege eingeschlagen, um überregionale Leistungsmessung zum Ausgangspunkt von Schulentwicklungsprozessen zu machen.

Qualitätssicherung durch regelmäßige Tests als internationaler Normalfall

Das Beispiel aus England verdeutlicht die Einbindung eines zentralisierten Prüfungswesens in eine marktorientierte Schulentwicklung. Zum Ende der 80er Jahre hat man gezielt mit Hilfe von vier national einheitlichen Tests während der Schullaufbahn, der Veröffentlichung von Testdaten und einer an die eingeworbene Schülerzahl gekoppelten Pauschalfinanzierung der Schulen eine Wettbewerbssituation hergestellt, um Qualität und Vergleichbarkeit zu entwickeln. Die nachfolgende Leistungssteigerung im Verlauf der 90er Jahre wird vielfach als Beweis der Wirksamkeit dieser Steuerungsphilosophie herangezogen. Die vielen Kritiker dieser Marktphilosophie gehen eher von einer `Schockwirkung` ohne nachhaltige Wirkung in der Folge der radikalen Reformen aus. So werden Strategien beschrieben, mit denen Schulen versuchen, ihren Listenplatz in öffentlichen Rankings durch gezielte Maßnahmen kurzfristig zu verbessern, z.B. mit Marketingstrategien oder bestimmten Zulassungskriterien zu den Examina. Vor diesem Hintergrund setzt die Schulentwicklungspolitik als Korrektiv zunehmend auf eine faire Darstellung von Leistungsdaten und verbesserte Unterstützungsstrukturen für schwache Schulen. Hier besteht jedoch noch deutlicher Handlungsbedarf: Forschungsergebnisse lassen deutlich werden, dass die Datenrückmeldung nicht automatisch den Datengebrauch und verbesserte Leistung initiiert. Die Wirkung überregionaler Testung wird entscheidend von der bereits vorhandenen Evaluationskultur einer Schule beeinflusst. Dazu gehören u.a. die Akzeptanz von Innovation und Wandel, effektive interne Kommunikationsstrukturen sowie die Verteilung der Verantwortung der Datenanalyse auf alle Mitarbeiter der Schule. Insgesamt wird aber deutlich, dass sich das schulische Misstrauen gegenüber extern generierten Daten im Laufe der letzen Jahre offensichtlich abgeschwächt hat und nach und nach durch einen vertrauteren Umgang mit Daten und den stärkeren Gebrauch der Ergebnisse für die curriculare Planung auf schulischer und auf Klassenebene abgelöst wird.

In Frankreich wird versucht, Gleichheit im zentral agierenden Staat in der Tradition der republikanischen Schulpolitik über zentrale Evaluationen zu stärken. Schon immer hat man dort auf die Unterstützung von Schulen durch Datenrückmeldungen gesetzt. Datensätze von vier nationalen Tests und den Abschlussprüfungen werden zwar veröffentlicht, ohne jedoch in Bildungsmarktstrukturen eingebunden zu sein, da zumeist feste Schulwahlbezirke existieren. Aktuell ist die Forderung, Informationen nicht nur zur Verfügung zu stellen, sondern auch den tatsächlichen Umgang mit ihnen stärker als bislang zu fördern. Es ist nämlich fraglich, inwieweit Schulen die Informationen in Handlungsstrategien überführen. Die Datenqualität stellt ebenfalls ein wichtiges Thema dar. Im Vordergrund steht die Vermittlung eines fairen Leistungsbildes, aber auch die externe Anregung des eigenen Innovationspotenzials mit Hilfe individuell zugeschnittener und verständlicher Informationen. Ein nicht unerheblicher, für Frankreich beschriebener Effekt großflächiger Tests bezieht sich auf die Testinhalte: National festgestellte Defizite in einem bestimmten Bereich eines abgetesteten Fachs führten zu deutlich verbesserten Leistungsresultaten im darauf folgenden Jahr.

Die Niederlande stehen für den Versuch, Qualität und Vergleichbarkeit in einem auf Schulautonomie setzenden Land zu sichern. Zwar war die Etablierung eines Bildungsmarktes nie eigentliches politisches Ziel, doch haben die Entwicklungen seit Ende der 90er Jahre mit der vor Gericht durch die Medien erstrittenen Publikation der Leistungsindikatoren im Kontext der bereits gegebenen Schulwahlfreiheit und der Pauschalfinanzierung der Schulen zu einer verstärkten Wettbewerbssituation beigetragen. Als zentrales Problem erweist sich die verstärkte Verantwortungs- und Rechenschaftspflicht, welche die traditionell sehr autonomen Schulen in eine "Spagatposition" drängt, wollen sie an ihren Profilen und Visionen festhalten und zugleich den staatlichen Vorgaben gerecht werden. Bei den Rückmeldungen steht vor allem die Frage nach der öffentlichen versus vertraulichen Mitteilung von Indikatoren im Vordergrund. Hinsichtlich der Daten geht es vor allem um Datenqualität, um Fairness der Darstellungen, um ihre Verständlichkeit für unterschiedliche Zielgruppen und die Frage, wie sich Qualität breiter als über kognitive Leistung abbilden lässt. Hinsichtlich der Nutzbarmachung von Ergebnissen wird deutlich, dass die Daten der zentralen Abschlussprüfungen weniger für einzelschulische Prozesse genutzt werden, da sie zu global erscheinen. Dennoch - so wird beschrieben - hat die Publikation der Daten im Zusammenspiel mit regelmäßigen Schulinspektionen für viele Schulen den Anstoß gegeben, sich stärker mit den erreichten Arbeitsergebnissen auseinanderzusetzen. Die vielen optionalen diagnostischen Tests während der Schulkarriere fördern dies, da sie konkret auf die Nutzung der Daten für die Schul- und Unterrichtsentwicklung hin angelegt sind.

Internationale Entwicklungstrends wahrnehmen und Forschung vorantreiben

Großflächige Lernstandsmessungen sind international eine omnipräsente Praxis, die offensichtlich immer deutlicher auf die Entwicklung der Einzelschule durch karrierebegleitende Tests und schulindividuelle Daten setzt. Darüber hinaus wächst mit der öffentlichen Ergebnismitteilung den Schulwahlentscheidungen seitens der Eltern eine wichtige Funktion zu, deren Wirkung nicht unumstritten ist. Es werden jedoch nicht nur Leistungsergebnisse öffentlich mitgeteilt, sondern auch eine Vielzahl von Hintergrundmerkmalen, um Leistungsdifferenzen fair darzustellen und Erklärungsansätze anbieten zu können. Die sehr knapp skizzierten Erfahrungen zeigen, dass zentrale systemische Strategien zwar die Bedingungen für Lernergebnisse schaffen, diese aber nicht direkt beeinflussen können. Es wird vielmehr in der Einzelschule entschieden, wie externes Intervenieren beantwortet wird. Zumindest thesenhaft lässt sich formulieren, dass sich großflächige Lernstandsmessungen bilanzierender Art - eingebettet in entsprechende Unterstützungsstrukturen - offensichtlich gegenüber schulkarrierebegleitenden diagnostischen Tests als unproduktiv für die Qualitätsentwicklung erweisen, da ihre Ergebnisse nicht mehr korrigierend während der Unterrichtsprozesse nutzbar gemacht werden können. Es bleibt die Feststellung, dass es grundlegender Forschung bedarf, damit weiteres Testen ohne Strategie zur Nutzung derartiger Tests für die Entwicklung der Einzelschule und des Schulsystems über ein bloßes Rückmelden von Informationen hinaus nicht in eine Sackgasse führt.

Isabell van Ackeren, geb. 1974, studierte Biologie, Germanistik und Erziehungswissenschaft für die Sekundarstufen I und II. Seit Januar 2000 arbeitet  sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Bildungsforschung/Bildungsplanung der Universität Duisburg-Essen mit. Arbeitsschwerpunkte bilden die Themenbereiche  "Qualitätsentwicklung: Leistungsvergleichsstudien und Entwicklung der Einzelschule im internationalen Vergleich" sowie "Übergänge: Schule-Berufswelt/Kooperationen Schule-Wirtschaft".
Demnächst erscheint ihre Publikation: "Nutzung großflächiger Tests für die Schulentwicklung. Exemplarische Analyse der Erfahrungen aus England,Frankreich und den Niederlanden"

Autor(in): Isabell van Ackeren
Kontakt zur Redaktion
Datum: 15.01.2004
© Innovationsportal

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