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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 18.08.2003:

Saarland: Der zögerliche Schulversuch

BBZ-Plus: neuer Schulversuch mit sieben berufsbildenden Schulen im Saarland

"Mehr Eigenverantwortung für Berufsschulzentren"
"BBZ-Plus ist nur ein weiterer Schritt im Personalbereich Selbstständigkeit zu erlangen", sagt Theo Graff, Direktor des Technisch-gewerblichen Berufsbildungszentrums in Sulzbach.

Für sieben Berufsbildungszentren soll nach dem Willen des Ministeriums für Bildung, Kultur und Sport im Saarland ebenfalls der Weg zu mehr Selbstständigkeit freigemacht werden.

"Mehr Eigenverantwortung für Berufsbildungszentren", lautet die Devise des Saarländischen Kultusministers Jürgen Schreier, nach der die Berufsbildungszentren ihren Weg ans Licht der Öffentlichkeit beschreiten sollen. Denn mit Beginn des Schuljahres 2003/2004 verleiht das Land ausgewählten Berufsschulen "wichtige Verwaltungszuständigkeiten". Das Ziel der erhöhten Eigenverantwortung ist es, die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Sieben Berufsschulzentren nehmen am Schulversuch teil, der drei Jahre lang dauert, von 2003 bis 2006. Mit im Boot: das Technisch-gewerbliche Berufsbildungszentrum in Sulzbach, TGBBZ Sulzbach.

Neue Handlungsspielräume erhalten die Berufsbildungszentren durch das Saarländische Kultusministerium in vier Bereichen: Befristete Arbeitsverträge, Anordnung von Mehrarbeit, Gewährung von Dienstreisen, Gewährung von Dienstbefreiung. Vorgesehen ist es, den Schulersuch auf weitere Schulen auszuweiten.

Die Schulleitung gestärkt
Freie Hand für die Direktoren? Freie Hand für die Schulleitungen und nicht nur für die Direktoren - "Eigenverantwortung im Schulmanagement" lautet die Formel des Saarländischen Kultusministeriums. Jedenfalls erhalten die Schulleitungen vor allem mehr Freiheiten im Personalmanagement. Doch nicht nur dort. So können die Schulleitungen von den Richtzahlen für Schüler abweichen, wenn sie Klassen oder Kurse individueller zusammenstellen wollen.

Die Berufsschulzentren verfügen jeweils über ein Budget. Es umfasst Sachmittel und Personalkosten. Jedoch gibt es nicht mehr Mittel als zuvor, meint zumindest der Verband der Lehrer und Wirtschaftsschulen im Saarland e.V.: BBZ-Plus sei der "Versuch, mit gleichen Mitteln mehr Qualität zu erzielen". Die Schulleitungen bekommen nicht, wie etwa selbstständige Schulen in Nordrhein-Westfalen, eine halbe Stelle zusätzlich, um den höheren Arbeitsaufwand im Schulmanagement zu bewältigen. 

Allemal seien es die berufsbildenden Schulen, die das Know-how haben, selbstständig zu werden,  sagt Graff. Die Selbständigkeit der Berufsbildungszentrum kommt beileibe nicht nur von oben, wie das Beispiel des TGBBZ Sulzbach zeigt.

Vision von Autonomie
Seit kurzem durchschneidet "Solari" sanft die Fluten der Saar, das Solarboot des TGBBZ Sulzbach. Schüler des Berufsschulzentrums haben das lautlose, knapp acht Meter lange Boot eigenständig gebaut. Dieser Katamaran, ein Boot mit zwei Rümpfen, beschert dem TGBBZ Sulzbach eine ungewöhnliche Werbung: Ein autonomes Boot für eine autonome Schule. Die Vision von mehr von Autonomie des TGBBZ Sulzbach lässt sich schon an ihren Projekten ablesen: Solarboot, Regenwassernutzung und eine Photovoltaikanlage, die überschüssigen Strom an das öffentliche Netz zurückführen kann.

Die Steuerleute des TGBBZ Sulzbach sind ebenfalls erfahren darin, die Schule eigenständig zu steuern. Erstens hat das Berufsbildungszentrum eine eigene Fortbildungsfirma, deren Gewinne in die Schule fließen, die Fördergesellschaft TGBBZ Sulzbach. Die anspruchsvollen Kunden kommen aus der Wirtschaft. Zweitens hat das Berufsschulzentrum vom TÜV Saarland das Zertifikat in Qualitätsmanagement nach ISO 9001:2000 erhalten und erweist sich damit als kundenorientierte und wirtschaftlich arbeitende Schule: "Wir sind damit die einzige Schule in der Bundesrepublik, die aus eigener Kraft die Zertifizierung geschafft hat", sagt Direktor Theo Graff. Drittens hat TGBBZ Sulzbach durch Verträge mit dem Stadtverband Saarbrücken die administrative Selbstständigkeit bereits im Januar 2003 erhalten.

"Langsames Herantasten"
Für den Direktor des TGBBZ Sulzbach, Theo Graff, sind die neuen Spielräume, die BBZ-Plus eröffnet, "erste Ansätze": "Dieser Versuch ist ein langsames Herantasten an das eigentliche Ziel: mehr Selbstständigkeit". Als Ingenieur, der lange Zeit in der Industrie tätig war, bringe er auch das Know-how mit, um die Schule zu mehr Selbstständigkeit zu führen. Immerhin hat Graff an der Fachhochschule gelehrt und kennt die Mechanismen, verfügt über Kontakte von Wirtschaft, Schule und Hochschule.

"In unserem Alltag, in unserer Arbeitswelt und in der Gesellschaft ist alles in Bewegung und in Veränderung". Gerade Berufsschulen stünden mehr als jede allgemeinbildende Schule im Brennpunkt der Öffentlichkeit, so Theo Graff. Die Schnelllebigkeit in der Gesellschaft erfordert ein Schulmanagement, das ebenso zügig auf Veränderungen reagieren kann: "Wir brauchen mehr Gestaltungsspielräume, um besser agieren zu können". Mehr als andere Schulen werden Berufsschulen daran gemessen, wie stark sie Schülerinnen und Schüler für das Arbeitsleben machen.

"Idealzustand" oder Ausverkauf der Allgemeinbildung?
Der "Idealzustand" in den Augen von Graff wäre es, wenn Berufsschulen wie ihre dualen Partner als Firmen handeln könnten. Man dürfe sich als Schule nicht den Veränderungen in Arbeitswelt und der Gesellschaft verschließen, sich auf sein Bildungsressort zurückziehen. Wichtig sei die erhöhte Selbstständigkeit der Schulen, um schneller auf Entwicklungen in der Gesellschaft reagieren zu können. Öffnung von Schule für die Wirtschaft, für Partner in der Gesellschaft.

Wird die Allgemeinbildung unter den Anforderungen der Wirtschaft leiden? Graff glaubt, der "allgemeinbildende Auftrag der Schulen könne vielmehr gestärkt werden. Öffnung für die Wirtschaft und Allgemeinbildung schließen sich nach seiner Auffassung keineswegs aus. Aus diesem Grunde bietet das TGBBZ Sulzbach mehr Sprachausbildung an, als eigentlich vorgeschrieben ist: "Kooperationen mit ausländischen Firmen können so ausgebaut werden", sagt der Direktor.

Welche Rolle spielen Schülerinnen und Schüler im Modellversuch BBZ-Plus? Nach Informationen von Helmut Hahn vom Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen im Saarland e.V., VLW, wurden sie in den Schulkonferenzen befragt. Allerdings sei das Interesse der Jugendlichen am Schulversuch nicht sehr ausgeprägt gewesen. Darüber hinaus können die Jugendlichen im Beirat von BBZ-Plus an Entscheidungen teilnehmen. Im Beirat sitzen Vertreter der Wirtschaft, der Schulträger, der Berufsbildungszentren, der Personalräte, der Eltern und der Schüler.

IHK Saarland: Die große Freiheit für Schulen bringt das nicht
"Wir wünschen uns deutlich mehr Freiheiten" sagt Graff. Er würde Beförderungsanträge am liebsten direkt an der Schule abwickeln können, "weil wir am besten beurteilen können, ob jemand auf Lebenszeit verbeamtet werden kann". Auch den Zeitpunkt müsse man bestimmen können, wann ein Kollege befördert wird. Die Möglichkeit, Lehrern Anreize durch Beförderungen zu geben, müsse deutlich ausgeweitet werden. Wenn es nach dem Direktor des TGBBZ Sulzbach ginge, sollten Schulen "wie Firmen agieren".

In das gleiche Horn stößt Richard Weber, Präsident der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes. "Lockerungsübungen", sagt er leicht höhnisch und fährt fort: "Die große Freiheit für die Schulen bringt das nicht". In den Augen von Weber ist der Modellversuch allerdings ein "Teilerfolg" für die IHK Saarland, die sich hier mit ihrer "Beharrlichkeit" durchsetzen konnte. Wenn es nach der IHK Saarland ginge, sollten die Schulen regelrecht entfesselt werden. "Mehr Mut" wünscht sich Weber infolge.

Staat in neuer Verantwortung?
Der VLW hingegen frohlockt, dass es ein Berufsbildungszentrum "als GmbH & Co KG" nicht geben wird, denn die Schule sei "kein Bildungs-Dienstleister". Richtig sei es, dass die Schulen über Vergleichsarbeiten in Zukunft an den Ergebnissen gemessen werden sollten, an der Output-Orientierung. Das habe zur Folge, dass die pädagogischen Freiheiten steigen und die Absprache mit Schülern über Unterrichts- und Prüfungsplanung verstärkt werde.

Um auf der anderen Seite eine "Beliebigkeitspädagogik" zu verhindern, müssten die Leistungen sowohl von Schülern als auch von Lehrern in modernen und landesweiten Prüfungen nachgewiesen werden. Dabei geht es um ein handlungsorientiertes Wissen und Methodenkompetenzen: "Wir wollen nicht zulassen, dass unsere Schulen dressierte Affen hervorbringen", sagt Hahn.

Durch BBZ-Plus wird die organisatorische Selbstständigkeit der Saarländischen Berufsschulzentren gestärkt. In seiner gegenwärtigen Fassung lässt der Schulversuch allerdings offen, inwiefern die Qualität des Unterrichts dadurch nachhaltig verbessert wird. Offen bleibt auch, ob demokratische Strukturen an den Berufsbildungszentren gestärkt werden sollen.

 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 18.08.2003
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