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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 24.02.2003:

Manfred Prenzel: Bildungsstandards werden zukünftig Lehrpläne ersetzen

Unterstützung durch Schulentwicklungsberater
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Prof. Manfred Prenzel

Bildung PLUS: Welche Art von Bildungsstandards brauchen wir in 
Deutschland?

Prenzel: Wir brauchen Bildungsstandards, die knapp und genau beschreiben, welche Ziele in den verschiedenen Jahrgangsstufen erreicht werden sollten. Sie müssten auch Aussagen darüber enthalten, wie sich Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern aufbauen und Voraussetzungen dieser Kompetenzen benennen. Sie sollten außerdem Beispielaufgaben zur Illustration enthalten. 

Bildung PLUS: Wie muss das Verhältnis von Minimal- und Maximalstandards gestaltet werden?

Prenzel: Die Bildungsstandards sollten so gehalten sein, dass sie das beschreiben, was normalerweise erreicht werden sollte. Sie sollten aber auch nach oben offen gehalten sein. Es geht darum, ein Minimalniveau einzuhalten, aber darüber hinaus noch weitere Entwicklungsstufen vorzusehen.

Bildung PLUS: Wie lässt sich die Qualität des Unterrichts durch den Einsatz von Bildungsstandards verbessern? Können Sie uns dazu Beispiele aus dem naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich nennen?

Prenzel: Standards helfen, den Unterricht auf das zu fokussieren, was am Ende sicher beherrscht werden soll und was deshalb immer wieder angesprochen und geübt werden muss. Standards helfen, den Unterricht kumulativ aufzubauen, also etwa naturwissenschaftliche Arbeitsweisen (z.B. Experimentieren) von Klasse zu Klasse auf einem höheren Niveau einzuführen. Nicht zuletzt helfen Standards, Fortschritte bzw. Lehr- und Lernerfolge besser fassen zu können.

Bildung PLUS: Einige Länder in Deutschland entwickeln ihre eigenen Bildungsstandards. Die Kultusministerkonferenz will ebenfalls Bildungsstandards vorlegen. Wie sind solche Aktivitäten angesichts der Forderung nach nationalen Bildungsstandards einzuschätzen?

Prenzel: Die Kultusministerkonferenz will übergreifende Standards entwickeln und damit eine Klärung auf nationaler Ebene, was Schülerinnen und Schüler in bestimmten Jahrgangsstufen erreichen sollten. Wenn einzelne Länder Aktivitäten gestartet haben, dann kann das in die Richtung gehen, bestimmte Vorarbeiten zu leisten oder auch länderspezifische Schwerpunkte zu setzen. Vom Aufwand her gesehen wird es auf längere Sicht nur sinnvoll sein, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen.

Es geht ja nicht nur um die Festlegung der Ziele, sondern um die Entwicklung von Aufgaben und Tests, und es geht darum, genauer zu beschreiben, wie das Lernen aufeinander aufbaut. Von daher bin ich überzeugt, dass man zu stärker abgestimmten gemeinsamen Aktivitäten kommen muss. Es sieht auch im Moment danach aus, dass Bemühungen in diese Richtung gehen.

Bildung PLUS: Wie können nationale Standards zur Durchsetzung von Chancengleichheit im Bildungswesen beitragen?

Prenzel: Sie können verhindern, dass die Unterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern zu groß werden. Wir haben bei PISA gesehen, dass es eine ziemlich große Anzahl von Schülerinnen und Schülern gibt, die als Risikokandidaten gelten müssen und die kaum mehr Chancen haben werden, in nachrückenden Klassenstufen oder Berufsausbildungen Anschluss zu erhalten. Da könnten Bildungsstandards dazu beitragen, dass man frühzeitig darauf achtet, Risikokandidaten zu fördern. Das ist die erste Ebene, auf der man die Chancengleichheit unterstützen könnte.

Die zweite Ebene betrifft die Unterschiede zwischen den Schulen. Es gibt Schulen, die ausgezeichnete Leistungen zeigen, und andere weniger gute. Durch Standards könnte man dazu beitragen, dass sich alle an einem gemeinsamen System orientieren und auch annähern können.

Auf der dritten Ebene geht es um die Unterschiede zwischen den Bundesländern. Auch sie können reduziert werden, wenn man ein gemeinsames Bezugssystem hat und sich immer wieder gemeinsam diesen Standards stellt.

Bildung PLUS: Welche Bedeutung haben Bildungsstandards für die Schulgestaltung und -entwicklung?

Prenzel: Wichtig ist, dass die Standards auf der Schulebene zwischen
Lehrkräften abgesprochen werden: Wie kann auf der gleichen Klassenstufe Vergleichbares erreicht werden? Das dient dazu, dass man den Unterricht über die Klassenstufen hinweg besser aufbauen kann. Von daher bedeutet es für die Schulentwicklung, mehr miteinander zu sprechen und die Arbeit abzustimmen. Das ist ein erster Schritt.

Über längere Zeit dürften Bildungsstandards dazu beitragen, dass Schulen stärker über ihren eigenen Weg nachdenken. Die Idee der Standards ist ja auch damit verbunden, die Ziele klar zu definieren und auf der anderen Seite den Schulen mehr Freiheit zu geben. Das könnte dazu führen, dass man sich mehr Gedanken darüber macht, ein schuleigenes oder schulspezifisches Programm zu entwickeln. Die Standards erleichtern es, ein Schulcurriculum zu entwickeln oder ein bestimmtes Profil, das eher in Mathematik oder Naturwissenschaft oder im sprachlichen Bereich liegt.

Bildung PLUS: Wie müssen die Lehrenden auf neue Aufgaben vorbereitet werden und welcher Unterstützungssysteme bedarf es dazu?

Prenzel: Auf lange Sicht werden die Standards vermutlich die aktuellen Lehrpläne ersetzen. Doch müssen wir davon ausgehen, dass die Lehrkräfte Handlungsgerüste und Unterstützung brauchen. Wichtig ist es, den Lehrerinnen und Lehrern Gelegenheit zu geben, die Planungen im Laufe der Zeit wieder mehr in die eigene Hand zu nehmen. Da sehe ich Institute gefordert, etwa die Landesinstitute, die Handreichungen oder Anregungen geben können. Ich könnte mir vorstellen, dass Schulentwicklungsberater angefordert werden können, wenn Schulen sagen, wir wollen wissen, wie das geht. Oder wir wollen wissen, wie wir mit den Ergebnissen von Tests umgehen können.

Lehramtsanwärter müssen in der künftigen universitären Lehrerbildung konsequent mit dem neuen System vertraut gemacht werden, wie man standardorientiert unterrichtet. Die Lehrkräfte sollten erkennen können, wie Schülerinnen und Schüler Standards erreicht haben. Sie müssen Tests interpretieren können. Auf die Lehrerausbildung kommen eine ganze Menge Anforderungen zu.

Bildung PLUS: Welche Rolle spielen Bildungsstandards in der zukünftigen Lehrerausbildung?

Prenzel: Wenn in Deutschland tatsächlich Standards eingeführt werden, dann müssen wir die künftigen Lehrerinnen und Lehrer mit den Standards vertraut machen, ihnen Nutzen und Funktion erklären, und wir müssen ihnen vermitteln, wie man mit ihnen arbeiten kann. Das ist die Aufgabe der Universitäten.

Umgekehrt müssen die Lehrkräfte, die im Augenblick unterrichten, in Lehrerfortbildungen die Chance haben, unterstützt zu werden und sich mit Standards vertraut zu machen. Sie müssen Möglichkeiten haben, darüber zu diskutieren, Standards zu durchdenken und zu sehen, wie sie sie nutzen können.

Bildung PLUS: Werden Bildungsstandards dazu beitragen, dass Schulen selbstständiger werden?

Prenzel: Ich bin überzeugt, dass Standards eine große Möglichkeit bieten, Schulen viel mehr Gestaltungsspielräume zu geben. Die Schulen haben die Verantwortung, die Bildungsziele zu erreichen. Aber die Wege, wie sie die Ziele erreichen wollen, welche Schwerpunkte sie in den einzelnen Jahrgangsstufen legen, das liegt in der Hand der Schulen. Da bekommen Schulen sehr viel mehr Spielräume für professionelles Handeln.

In den skandinavischen Ländern etwa gibt man den Schulen viele Freiheiten, hat aber andererseits Standards, mit denen man prüft, wo die Schülerinnen und Schüler stehen.
  
Bildung PLUS: Wie können Standards gemessen werden und wer überprüft die Gültigkeit der aufgestellten Bildungsstandards?

Prenzel: Ein wichtiger Punkt bei Standards ist erstens: Man muss sie in Aufgaben übersetzen. Die Aufgaben müssen von Experten beurteilt werden, inwieweit sie den Zielen entsprechen. Die Aufgaben sollten von den Gruppen, die die Standards beschrieben haben, geprüft und akkreditiert werden.

Zweitens gibt es auch die Möglichkeit, die Standards empirisch stärker abzusichern und die Tests der Standards mit internationalen Studien (z.B. PISA, IGLU) zu vergleichen.

Drittens ist zu untersuchen, ob man mit den Standards tatsächlich das Wichtige erfasst. Also das, was man in der Berufsausbildung braucht oder für das Studium an der Hochschule. Das alles muss man empirisch immer wieder überprüfen im Zusammenhang mit dem Studienerfolg oder dem Berufserfolg. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten sicherzustellen, dass die Standards auch das erfassen, was man erfassen möchte, und dass sie bedeutsam sind für das, was nach der Schule kommt.

Bildung PLUS: Wie muss man die nationalen Standards in den internationalen Kontext einordnen?

Prenzel: Im Ausland kann man gute Beispiele für Bildungsstandards finden. In den USA gibt es von den Berufsverbänden oder Fachverbänden wunderbare Standards, die sehr differenziert für die Mathematik für die jeweilige Jahrgangsstufe beschreiben, was erreicht werden soll. Das finden wir auch für die Naturwissenschaft.

Kanada hat sehr schöne Systeme und ich würde sehr dazu raten, sich diese Beispiele anzusehen, ohne sie direkt zu übernehmen. Man kann daraus lernen und starke Anregungen von außen holen, so dass man nicht von vorne anfängt. Man muss aber bedenken, dass solche Standards etwa in den USA existieren, aber nicht bis in die Schulen vorgedrungen sind.

Eine andere Frage ist, wie man solche Standards implementiert, damit sie von den Lehrkräften akzeptiert werden. In den USA sieht man etwa, dass das nicht so wunderbar klappt. In anderen Ländern, wie Kanada, funktioniert das ein ganzes Stück besser. Auch in skandinavischen Ländern akzeptieren die Schulen die Vorgaben relativ gut. Von diesen Ländern kann man lernen, wie man Standards an die Schulen bringt.


Manfred Prenzel, 50, vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften ist Co-Autor der Expertise "Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards". Prenzel ist federführend im PISA-Konsortium 2003 und leitet das BLK-Modellversuchsprogramm "Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts". Zu den Schwerpunkten seines Forschungsinteresses zählen: naturwissenschaftliche Bildung, Lernmotivation, Unterrichtsmuster und Qualitätsentwicklung.
 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 24.02.2003
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