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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 31.05.2018:

„Es besteht eine Wechselwirkung zwischen schulischen Einflussgrößen und den individuellen Lernvoraussetzungen eines Kindes.“

Wann ist ein Kind „schulfähig“?

Rund um den sechsten Geburtstag ihres Kindes werden viele Eltern nervös und fragen sich, ob es schon reif für die Schule ist. Wann Kinder in die Schule kommen, entscheiden die Bundesländer. In den Bundesländern gelten unterschiedliche Stichtage, ab denen die Schulpflicht beginnt. Diese Stichtage liegen zurzeit zwischen dem 30. Juni und dem 30. September. Kinder, die bis zu diesem Zeitpunkt das sechste Lebensjahr vollendet haben, werden nach den Sommerferien eingeschult. Doch auch jüngere Kinder können schon eingeschult bzw. Sechsjährige in Ausnahmefällen zurückgestellt werden, wenn Eltern ihr Kind schon bzw. noch nicht für schulreif halten. Die Entscheidung fällt vielen Eltern schwer, aus Angst vor einer Überforderung bei einer frühen Einschulung bzw. einer Unterforderung bei einer späten Einschulung. Oft helfen Gespräche mit dem Kinderarzt und/oder den Erzieher/inn/en in der Kita, die das Kind gut kennen.

Was heißt schulreif?
Doch was heißt eigentlich „schulreif“? Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts ging man davon aus, dass die körperliche Entwicklung des Kindes auch immer ein Anzeichen für seine kognitive und soziale Entwicklung sei. Heute weiß man, dass es vielmehr um eine Art innerliche Bereitschaft geht, reflektiert Dr. Armin Krenz, Sozialpädagoge und Autor des Buches „Ist mein Kind schulfähig?“. Aus diesem Grund rückte man auch sprachlich von dem Wort „Schulreife“ ab und spricht heute vielmehr von „Schulfähigkeit“ oder auch von „Schulbereitschaft“, ergänzt er. Auch Umwelteinflüsse, wie z.B. die Lernmöglichkeiten in Familien und in Kindertageseinrichtungen, sind wichtig für die Erlangung bestimmter Kompetenzen, die Kinder brauchen, um den Schulalltag erfolgreich zu bewältigen.

Ist das Kind bereit, ein Schulkind zu werden?
Eine allgemein gültige Definition von „Schulfähigkeit“ gibt es aber nicht und kann es auch gar nicht geben, meint Diplom-Psychologin Renate Niesel, da die Anforderungen einer Schule an Kinder beim Schuleintritt nirgends explizit festgeschrieben seien und die Schulen ihr jeweils eigenes Profil haben, auch was die Gestaltung der Schuleingangsphase anbelange. „Um schulfähige von nicht schulfähigen Kindern unterscheiden zu können, hat man versucht, psychologische Schulreife- bzw. Schulfähigkeitstests zu entwickeln. Diese Bemühungen führten zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Die Tests erfassen immer nur den Entwicklungsstand eines Kindes zum Testzeitpunkt. Prognosen bezüglich des Schulerfolgs durch Tests erwiesen sich als unzuverlässig“, kritisiert sie. „Schulfähigkeit“ soll ihrer Meinung nach nicht heißen, dass Kinder schon zu allem fähig seien, was in der Schule verlangt wird, sondern dass es vielmehr darum geht, ob das Kind grundsätzlich fähig und bereit sei, ein Schulkind zu werden!

Anforderungen an die „Schulfähigkeit“
Zu den Anforderungen, die mit „Schulfähigkeit“ oder „Schulbereitschaft“ heute im allgemeinen verknüpft werden, gehören kognitive Leistungen, soziale Kompetenzen sowie Arbeitshaltung und Motivation, aber auch die körperliche Verfassung und die emotionale Stabilität. Es wird davon ausgegangen, dass zwischen der körperlichen Entwicklung, dem Gesundheitszustand und dem Schulerfolg Beziehungen bestehen. Kinder, die sich viel bewegen, lernen leichter, Grob- und Feinmotorik sollten entwickelt sein. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Seh- und Hörvermögen geschenkt, da diese eng mit den Lese- und Schreibleistungen zusammenhängen. Was die kognitive Schulfähigkeit angeht, spielen die visuelle und die auditive Wahrnehmung, die Merkfähigkeit, die Fähigkeit zum konkret-logischen Denken und zur Begriffsbildung, insbesondere von Zahl- und Mengenbegriffen, eine Rolle. Zurzeit geht es dabei auch viel um Sprachförderung. Sowohl das passive Sprachverständnis als auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass das Kind dem Unterricht folgen und sich selber einbringen kann. Aber auch motivationale Lernvoraussetzungen wie Interesse, Neugier, Freude sowie Ausdauer, Anstrengungsbereitschaft, Konzentration und zielstrebiges Vorgehen gehören zur „Schulfähigkeit“.

Zusehends in den Fokus rücken heute die sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Denn auch wenn die kognitiven Fähigkeiten und die körperliche Entwicklung gut ausgebildet sind, kann ein Kind nicht gut lernen, wenn es sich in der neuen Klassengemeinschaft nicht wohl fühlt. Es sollte deshalb emotional stabil sein – d.h., sich von vertrauten Personen lösen können, wenig Ängste haben, Selbstvertrauen besitzen, über eine gewisse Frustrationstoleranz verfügen und Bedürfnisse aufschieben können. Und es sollte auch sozial kompetent sein, d.h., Kontakt zu anderen Kindern herstellen und ein Gespür für den richtigen Umgang mit den Klassenkameraden und Lehrkräften entwickeln können.

„Kindfähigkeit“ der Schule wichtig
Ein Kind muss also schon eine ganze Menge können, bevor es in die Schule kommt. Doch ob ein Kind „schulfähig“ ist, hängt auch von den schulischen Rahmenbedingungen und den Persönlichkeitsmerkmalen sowie den fachlichen Kompetenzen der Lehrkräfte ab. „Schulfähigkeit darf nicht ausschließlich auf Merkmale bzw. Lernvoraussetzungen des Kindes reduziert werden. Es besteht vielmehr eine Wechselwirkung zwischen schulischen Einflussgrößen und den individuellen Lernvoraussetzungen eines Kindes“, äußert sich Psychologe Dr. Karlheinz Barth dazu. Also die Größe und die Zusammensetzung der Schulklassen, das Verhältnis von Jungen und Mädchen, die Klassenraumgestaltung, der festgelegte Stundenrhythmus, Unterrichtsmaterialen sowie die gesamte Ausstattung mit Medien spielen ebenso eine große Rolle dabei, ob ein Kind schulfähig ist, wie das Know-how und das Engagement der Lehrkräfte, fasst Armin Krenz zusammen. „Die Jungen und Mädchen, die sich am ersten Schultag zu einer neuen Klasse zusammenfinden, sind sehr verschieden. Selbst dann, wenn sie alle am selben Tag auf die Welt gekommen wären, wäre ihr Entwicklungsstand unterschiedlich, sie hätten unterschiedliche Temperamente, sie hätten unterschiedliche Muttersprachen als Erstsprache gelernt und ihre ersten Lebensjahre in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Familienumwelten verbracht und wären in unterschiedliche Kindergärten gegangen. Der Schulfähigkeit des Kindes steht die „Kindfähigkeit“ der Schule gegenüber. Damit ist gemeint, dass die Schule als aufnehmende Bildungseinrichtung die Übergangsbewältigung jedes Kindes so unterstützen sollte, dass kein Kind „zurückgestellt“ werden muss. Kinder sollen nicht in einem allein passiven Sinne eingeschult werden, sondern sie müssen den Übergang aktiv bewältigen und haben Anspruch auf eine pädagogische Übergangsbegleitung die in Kindertageseinrichtung und Familie beginnt und in der Schule fortgeführt wird“, findet Renate Niesel.

Wer sein Kind früher oder später, als der Stichtag es vorsieht, einschulen möchte, sollte also nicht nur auf das Kind schauen, sondern auch das eigene Umfeld sowie die Rahmenbedingungen der Schule vor Ort ins Visier nehmen.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 31.05.2018
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