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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 01.06.2016:

„Eine Einbindung von OER in eine MOOC-Struktur wäre ideal.“

MOOCs und ihr Verhältnis zu OER
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Dr. Markus Deimann

mooin, die offene Lernplattform der Fachhochschule Lübeck und ihrer Tochter oncampus, ermöglicht Bildung für alle. Ob „Englisch für Chemiestudierende“ oder „Aha-Erlebnisse aus der Experimentalphysik“ - die Auswahl der angebotenen Kurse ist groß. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Dr. Markus Deimann, MOOC-Maker bei mooin, über seine Tätigkeit und darüber, wie man MOOCs (Massive Open Online Courses) und OER (Open Educational Resources) miteinander verknüpfen könnte.


Online-Redaktion: Dr. Deimann, Sie sind seit Kurzem als MOOC-Maker an der FH Lübeck tätig. Was macht ein MOOC-Maker? An welchen Projekten arbeiten Sie?

Deimann: Wir produzieren für unsere Plattform mooin MOOCs ‒ das sind eine Art Lernvideos, in denen eine Dozentin/ein Dozent in ein bestimmtes Thema einführt ‒ zu verschiedenen Themen. Da wir mit der oncampus GmbH auch Lerndienstleistungen für externe Partner anbieten, kommen ganz unterschiedliche Projekte zusammen. So planen wir für den Sommer zum Beispiel den Kompaktkurs „Mathe endlich verstehen“ mit Jörn Loviscach aus Bielefeld, oder wir produzieren einen Kurs für die Seniorengruppe Efi ‒ Erfahrungswissen für Initiativen. Das sind sehr aktive Senioren und Seniorinnen, die über MOOCs Informationen über das Angebot ihrer Gruppe geben und zeigen möchten, wie man sich dort einbringen kann. Es gibt auch MOOCs, die direkt an der FH angebunden sind, wie zum Beispiel eins zum Thema Netzwerksicherheit, das für alle Interessierten offen ist und auch sehr gut angenommen wird. Es sind schon rund 4.000 Teilnehmer eingeschrieben.
Vor Erstellung der MOOCs sprechen wir mit den Kunden über ihre Vorstellungen oder bereiten, wenn vorhanden, ihre Videos so auf, dass sie auf mooin erscheinen können. D.h. wir bauen eventuell noch Quizzes ein oder Foren, damit die Interaktivität gewährleistet ist, arbeiten Info-Materialien ein und bereiten sie didaktisch so auf, dass sie ansprechend aussehen und motivierend wirken. Meine Aufgabe ist die Koordinierung der Online-Angebote und ihrer gesamten Abläufe.

Online-Redaktion: Worin liegen die Vorteile, aber auch die Schwierigkeiten und Probleme von MOOCs?

Deimann: Die Vorteile sehe ich darin, dass man mit MOOCs viele Themen abdecken kann, die bisher in klassischen, akademischen Bildungsformaten an der Hochschule nicht vorkommen können. So hat man zum Beispiel die Möglichkeit, Themen wie „25 Jahre deutsche Einheit“, die gesellschaftlich bedeutend sind, zu vermitteln und diskutieren zu lassen. Das ist ein großer Vorteil und eine Öffnung gegenüber den traditionellen akademischen Kursen, wo man in geschlossenen Zirkeln Texte bespricht. Die befinden sich zwar auf einem hohen Niveau, oft fehlt ihnen aber die Andockung an gesellschaftliche Diskurse und Entwicklungen. Mit MOOCs kann man verschiedene Zielgruppen erreichen und einbinden, die vorher ausgegrenzt wurden, wie beispielsweise Senioren. MOOCs sind für alle offen, sie erfordern nur einmal eine Registrierung auf der jeweiligen Plattform, und die meisten sind kostenfrei.

Ein Nachteil kann sein, dass man nicht alle Themen in einem Videoformat vermitteln kann. Durch das Format unterliegt man gewissen Einschränkungen. Auch die Vermittlung über eine Plattform birgt gewisse Nachteile. Man muss sich selber motivieren und organisieren, da der direkte Face-to-Face-Austausch fehlt.

Online-Redaktion: Welche Bedeutung haben MOOCs für die Hochschulbildung und die Erwachsenenbildung?

Deimann: Hochschul- und Erwachsenenbildung können ihren Auftrag, mit niedrigschwelligen Angeboten für alle offen zu sein und nicht auszugrenzen, mit MOOCs viel besser umsetzen, als das mit den herkömmlichen Formaten der Fall ist. Bisher musste man zu der jeweiligen Einrichtung gehen, sich dort einschreiben, sich in einem Raum mit anderen über gewisse Themen auseinandersetzen usw. Bei MOOCs muss man sich nirgendwo hinbewegen, man bleibt im Netz, wo sich die meisten sowieso ständig aufhalten, und hat dadurch viel bessere Möglichkeiten und Dynamiken, mehr Leute zu erreichen.

Online-Redaktion: Werden die Kurse zertifiziert?

Deimann: Hier in Lübeck legen wir großen Wert auf die Anrechenbarkeit. Bei uns kann man immer ein Zertifikat erreichen. Das ist für mich logisch und konsequent. Außerdem arbeiten wir daran, dass die Teilnehmer/-innen des Mathe-MOOCs nach bestandener Abschlussprüfung ein Zertifikat erhalten, das sie in ihrem Studium anrechnen lassen können und für das sie Credit Points erhalten.

Online-Redaktion: Wie sind die Kurse didaktisch aufbereitet?

Deimann: In den Videos werden die Teilnehmer/-innen durch den Dozenten, die Dozentin, der/die in das jeweilige Thema einführt, direkt angesprochen. Darum baut man über Foren o.ä. interaktive Funktionalitäten ein, um die Motivation der Teilnehmer/-innen aufrecht zu erhalten und einen Austausch zu ermöglichen. MOOCs sind durch ihr Format natürlich strukturell limitiert. Man erhält niemals eine Face-to-Face-Situation, aber man hat Möglichkeiten, Neues auszuprobieren, um ähnliche Dynamiken zu erzeugen. Anja Wagner zum Beispiel, eine Kollegin bei mooin, hat ihr MOOC „Arbeit 4.0“ ganz bewusst nur eine Woche stattfinden lassen. Die meisten Kurse gehen über vier, fünf Wochen, wie zum Beispiel auch der Kurs zum Thema Netzwerksicherheit. Dadurch bekam das Format eine andere Aufmerksamkeit. Es gibt diesen Freiraum für experimentelle Versuche, man kann viel machen, was vorher strukturell oder aus organisatorischen Gründen nicht möglich war.

Online-Redaktion: Sie haben kritisiert, dass im Jahresgutachten 2015 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) der Bundesregierung MOOCs sehr positiv erwähnt wurden, während Open Educational Resources dort keine Erwähnung fanden. Sollte man den Schwerpunkt in der digitalen Bildung mehr auf OER legen?

Deimann: Unbedingt! Es wurde viel zu viel Wert auf veraltete, eingefahrene MOOCs gelegt, die dröge Wissensvermittlung per Video machen, ähnlich wie das Bildungsfernsehen der 70er, 80er Jahre. Hier darf man nicht stehenbleiben!
Wichtig ist auch, dass man bei der digitalen Bildung darauf achtet, dass man nicht einige Teilnehmer/-innen ausgrenzt. Man sagt zwar, MOOCs seien für alle offen, sind sie aber nicht, allein durch die Technik werden bestimmte Ansprüche gestellt, die manche Menschen ausgrenzen. Meiner Meinung nach sind OER ein wichtiger Schritt, um dem Anspruch, Bildung anzubieten, die für alle offen ist, nachzukommen.

Online-Redaktion: Wie offen sind MOOCs, wie offen OER?

Deimann: Es gibt viele Diskussionen darüber und auch Definitionen. Was Open Educational Resources angehen, gibt es die 5 Rs nach David Wiley: retain, reuse, revise, remix, redistribute. D.h. man bedient sich der Materialien aus dem Netz, darf sie verändern, zu anderen Zwecken wieder zusammensetzen und ins Netz zurückstellen. Es ist ein Geben und Nehmen, aus dem sich ein Kreislauf ergibt. Je mehr man von diesen 5 Rs erreicht, desto offener ist das Bildungsmaterial.

Bei MOOCs hängt die Offenheit von dem Material ab, das verwendet wird. Es gibt Abstufungen von Offenheitsgraden. Wir legen viel Wert darauf, dass das verwendete Material auf mooin grundsätzlich OER ist. Unsere Videos unterliegen alle einer CC-BY-Lizenz, die Autorinnen und Autoren müssen dem von vorneherein zustimmen. Unsere MOOCs sind deshalb alle sehr offen. Videos von anderen Plattformen, wo geschütztes Material verwendet wird, sind oft weniger offen.

Online-Redaktion: In welchem Verhältnis stehen MOOCs und OER zueinander?

Deimann: Meiner Meinung nach sollten MOOCs und OER komplementär zueinander stehen. Als die so genannten konnektivistischen MOOCs 2008 in Kanada starteten, ging es darum, das Netz als offenen, kulturellen Raum zu begreifen, sich dort zu bedienen und auszutauschen. Erst später hat sich das im Hinblick auf die X-MOOCs so gewandelt, dass Vorlesungen abgefilmt und ins Netz gestellt wurden. Um Offenheit hat man sich weniger Gedanken gemacht, es ging mehr darum, kostenlosen Zugang zu Bildung zu haben, sich auf einer Plattform zu Vorlesungen von renommierten Professorinnen und Professoren aus den USA einschreiben zu können. Das ist schade, denn so wurde ein neuer Begriff von Offenheit geprägt, der mit dem früheren wenig gemeinsam hat.

Online-Redaktion: Wie lassen sich MOOCs und OER verknüpfen bzw. konzeptionell zusammenbringen?

Deimann: Sie ergänzen sich sehr gut. Meiner Ansicht nach wäre eine Einbindung von OER in eine MOOC-Struktur ideal. OER sind eine Grundvoraussetzung für freie Bildung ‒ dass man sich ihrer bedienen und sie benutzen darf, ohne ständig Autorinnen und Autoren um ihr Einverständnis fragen zu müssen ‒ doch sie sind zunächst einmal nur Material und noch keine Bildung. Was man braucht, sind Lernprozesse, eine Struktur, eine Plattform, wie mooin sie vorgibt, die zeigt, wie man mit ihnen arbeiten kann. Vielen erschließt sich nicht, was mit OER möglich ist, was ihre Lernziele sind und wie man mit ihnen taktieren kann, wenn man ihnen keine Struktur an die Hand gibt. OER müssen angefasst, gelebt werden, und dafür braucht es Konzepte. MOOCs sind optimal.

Online-Redaktion:
MOOCs ‒ OER: In welche Richtung entwickelt sich die Digitalisierung der Hochschulen bildungspolitisch?

Deimann: Im Bereich Hochschule tut sich sehr viel, es gibt ja u.a. das Hochschulforum Digitalisierung, das jetzt seit über drei Jahren daran arbeitet, erst einmal eine Diskussionsplattform zu schaffen. Alle Hochschulen sind eingeladen, sich mit verschiedenen Themen zu beteiligen und mit zu diskutieren. Doch es steht noch ganz am Anfang. Es wird nach Wegen und Möglichkeiten gesucht, wo es hingehen soll. Ich hoffe sehr, dass es weitergeführt wird.

Dann sind Themen wie Anrechenbarkeit von MOOCs wichtig, das Thema muss konsequent weiter gedacht werden. Es reicht nicht als Hochschule, Kurse für „die Welt da draußen“ anzubieten, aber sich nicht um die Anrechenbarkeit der Zertifikate zu kümmern. Das führt zu nichts. Man muss die Frage: „Was bedeutet es, wenn man sich als Hochschule der Logik des Internets unterwirft?“ perspektivisch zu Ende denken und konsequent sein, sonst bleibt man auf halber Strecke stehen.



Dr. Markus Deimann
, promovierter Bildungswissenschaftler, digital affin, forscht seit vielen Jahren im Bereich Open und Distance Education. Kritischer Geist, der nach einem Mittelweg zwischen Dystopie und Utopie sucht, mischt sich gerne in Diskussionen zur Digitalen Bildung ein.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 01.06.2016
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