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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 20.09.2013:

„Es geht um eine Veränderung des Lernens“

Erste Konferenz zu freien Bildungsmaterialien in Berlin
Das Bild zum Artikel
Elly Köpf
Foto: Michael Jahn, CC-BY-SA 3.0

Am 14./15. September 2013 fand in Berlin die erste Konferenz in Deutschland zu freien Bildungsmaterialien (OER) statt. 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – politische AkteurInnen, LehrerInnen, OER-Aktive und Interessierte aus dem Kontext der Digitalen Bildung – haben zwei Tage lang gemeinsam über die aktuelle Situation und die Zukunft von OER in Deutschland und im internationalen Raum diskutiert. Im Rahmen der Konferenz gab es das zweite Barcamp zu freien Bildungsmaterialien im deutschsprachigen Raum. Die Online-Redaktion von „Bildung + Innovation“ sprach mit Elly Köpf, Projektmanagerin bei Wikimedia Deutschland im Bereich „Bildung und Wissen“, über Ziele und Ergebnisse der Konferenz.
Wikimedia Deutschland e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Förderung Freien Wissens einsetzt und Hauptveranstalter der Konferenz zu freien Bildungsmaterialien war. Das größte Projekt von Wikimedia ist Wikipedia, die freie Online-Enzyklopädie, die weltweit zu den fünf beliebtesten Websites gehört. Wikipedia setzt sich für den kostenlosen Zugang zu Freiem Wissen ein und engagiert sich damit für ein grundlegendes Recht des Menschen auf Bildung.


Online-Redaktion: Welche Ziele waren mit der Konferenz und dem diesjährigen Barcamp verbunden?

Köpf: Uns ging es besonders darum, dass sich Menschen miteinander vernetzen. Auf der einen Seite gibt es viele einzelne OER-Aktivitäten in Deutschland, auf der anderen Seite gibt es die politischen Entscheider, die KMK, die ministerielle Ebene, dann gibt es noch die Akteure, die sich über Open Educational Resources (OER) informieren möchten, weil sie merken, dass das ein Thema ist, das immer mehr Gewicht bekommt. Sie wollen wissen, was OER genau bedeutet und was man machen kann, um das Projekt zu unterstützen. Und nicht zuletzt gibt es die Verlage, die auf der Suche nach Modellen sind, wie man zukünftiges Lernen in diesem Themenfeld gestalten kann. Menschen mit verschiedenen Positionen zusammenzubringen und miteinander ins Gespräch zu bringen, war das Hauptziel. Darum gab es im Rahmen der Konferenz auch ein Barcamp. Wir wollten nicht nur eine Vernetzung der Akteure erreichen, die sowieso schon OER machen, sondern auch politische Akteure und Interessierte, die sich noch nicht so mit dem Themenfeld auskennen, einbinden und ihnen einen Einstieg ermöglichen. Durch die Verbindung zwischen einem festen Teil - die Konferenz – und einem offenen Teil – dem Barcamp – konnte man beide Sichtweisen gut in den Dialog bringen.

Darüber hinaus wurden von der deutschen UNESCO-Kommission, die die Schirmherrschaft für die Konferenz hatte, sowie von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg Materialien erstellt, die im Kontext der Konferenz veröffentlicht wurden und einen guten Einstieg und Überblick in Open Educational Resources geben und danach fragen, was diese für Deutschland bedeuten können.

Online-Redaktion: Wie ist denn der aktuelle Stand von OER in Deutschland: Wie verbreitet sind die freien Bildungsmaterialien, welche Initiativen und Projekte gibt es?

Köpf: Es gibt sehr viele Projekte und Initiativen und ich bin im Rahmen der Konferenz immer wieder auf neue interessante Projekte gestoßen. Es sind bislang Einzelinitiativen von Akteuren, die dafür eintreten, dass es frei verfügbare Materialien gibt, teilweise mit einem thematischen oder einem Fächerschwerpunkt in Religion, Mathematik oder Geschichte. Dazu gehören z. B. cc-your-edu, eines der ersten Projekte, aber auch edutags oder die Mathematikplattform serlo.
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat sich zum Beispiel Open Education als Förderschwerpunkt gesetzt und unterstützt Projekte, die über OER aufklären. Es sind in Deutschland bis jetzt durch die dezentralen Strukturen immer Einzelprojekte auf Länderebene oder auf der Ebene einzelner Akteure. Da findet noch relativ wenig Austausch statt - sowohl zwischen den Erfolgsprojekten als auch zwischen den Länderprojekten. Deshalb war das Ziel unserer Konferenz, die Projekte sichtbar zu machen und eine bessere Vernetzung zwischen den einzelnen Projekten zu ermöglichen.

Online-Redaktion: Welches sind denn die Forderungen der OER-Aktivisten?

Köpf:
Zum einen wollen sie die pädagogische Arbeit aus dem urheberrechtlichen Graubereich herausholen. Streng genommen ist es nicht erlaubt, dass Lehrende - trotz gängiger Praxis - Inhalte zum Beispiel aus Schulbüchern kopieren und weitergeben, weil die Werke restriktiv urheberrechtlich geschützt sind. Auf der anderen Seite geht es den OER-Aktivisten darum, sich mehr auf den Lernenden zu fokussieren, mehr zielgruppenspezifisches Lernen und flexiblere Lernprojekte zu ermöglichen. Open Educational Resources sind das Mittel für die Lehrenden, mehr auf einzelne Schüler einzugehen und individuellen Unterricht gestalten zu können.

Es geht um eine Veränderung des Lernens, um einen stärker schülerzentrierten Fokus und eine flexiblere Gestaltung des Unterrichts und, eng damit verknüpft, um die urheberrechtliche Diskussion. Durch freie Lizenzierung ist eine klare Positionierung – was darf man und was nicht – und wesentlich mehr Flexibilität möglich.

Online-Redaktion:
Inwiefern kann Open Education die (Bildungs-)Welt verändern?

Köpf: Lernen findet nicht nur in Schule oder Hochschule statt, sondern im Sinne des lebenslangen Lernens immer und überall. Online wird es bei verschiedenen Projekten wie youTube oder Wikipedia sichtbar: dort ist man nicht nur Leser, sondern auch Produzent, man liest nicht nur, sondern man erstellt auch selbst Wissen. Dies ist eine aktive Form des Lernens. Durch diesen Blick auf Lernen als aktivem Prozess ist natürlich auch eine dementsprechende Lernumgebung notwendig und eine rechtliche Aufklärung darüber, was möglich ist, was gemacht und was nicht gemacht werden kann. Der geschlossene Raum Schule existiert im Sinne der Open Education nicht mehr. Die Räume brechen auf, sie sind schon ganz eng miteinander verwoben und darauf muss man reagieren. Neil Butcher hat das bei seiner Abschlussrede auf der Konferenz noch einmal sehr deutlich gemacht, dass das Schulsystem in Deutschland und auch in anderen Ländern oft auf Lerntheorien basiert, die sehr veraltet und teilweise auch schon widerlegt sind. Man muss jetzt dafür sorgen, dass Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter möglich ist und angepasst wird. In diesem Themenfeld der Veränderung des Lernprozesses und des aktiven Lernens verortet sich auch OER.

Online-Redaktion:
Was bedeuten OER für das Lehren und Lernen an der Hochschule?

Köpf:
Warum es so wichtig ist, es gerade an den Hochschulen zu verankern, wird immer deutlicher. Die Wissensaneignung und die Produkte, die in diesem Kontext entstehen, sind von beiden Seiten zu betrachten. Nicht nur die Lehrenden, sondern auch die Lernenden produzieren Inhalte, von denen andere Lernende profitieren können. Wenn man dieses Wissen frei zugänglich machen würde und kollaborative Prozesse ermöglichen würde, so dass Lernende sich untereinander helfen können, kann für das Lernen gerade an Hochschulen sehr viel gewonnen werden. Gerade in dem Ermöglichen von kollaborativem Arbeiten gibt es sehr motivierende Prozesse für die Lernenden untereinander. Sich gegenseitig zu helfen, das Wissen frei zugänglich zu machen, von jemand anderem ein Feedback zu bekommen, geht entgegen der traditionellen Sicht von dem Lehrenden als Wissensträger aus. Es stecken gerade für Schule und Hochschule sehr viele Möglichkeiten darin, den Lehrenden zum Teil zu entlasten, aber auch das Lernen an sich aktiver zu gestalten. Ich bin davon überzeugt, dass das für beide Seiten sehr positive Effekte haben kann. Aber zuvor müssen sich die Lernenden, aber vor allem auch die Lehrenden, darüber bewusst sein, dass sich die Rolle des Lehrenden verändern muss. Vom reinen Wissensträger zum Wissensmoderator.

Online-Redaktion: Wie kann man in dem Zusammenhang die Urheberrechtsproblematik lösen?

Köpf: Durch Aufklärung. Lehrende und Lernende müssen wissen, was es heißt, Autor eines Werkes zu sein. Da sehe ich an Schulen und Hochschulen noch ein sehr großes Manko. Gerade an Hochschulen ist das Material oft zugangsbeschränkt, steht nur einem sehr kleinen Kreis offen und kann von anderen nicht weiter benutzt werden. Entweder ist es urheberrechtlich nicht geklärt oder nicht frei lizenziert, so dass es Student x nicht ins andere Seminar übertragen kann. An Hochschulen herrschen oft noch sehr geschlossene Systeme vor. Man kommt in Zeiten von Digitalisierung und kollaborativen Lernprozessen aber gerade hier nicht darum herum, dass der Urheber sich Gedanken darüber macht, was er möchte, was mit seinem Text möglich ist oder nicht. Das Urheberrecht, wie es jetzt ist, geht ja noch davon aus, dass es diese ganzen Verbreitungsmöglichkeiten gar nicht gibt.

Es gibt mehrere Modelle, die man wählen kann. Creative-Commons-Lizenzen sind die verbreitetsten. Hier gibt es unterschiedliche Modelle. Man muss sich nur einmal diese Frage stellen: was möchte ich, das mit meinem Werk passiert? Möchte ich, dass es kommerziell genutzt wird, möchte ich, dass ein anderer es unter gleichen Bedingungen weitergibt, oder möchte ich es einfach nur freigeben. Dann ist die Entscheidung eigentlich gar nicht so schwer.

Online-Redaktion: Wie können OER in Schule, Unterricht und Lehrerfortbildung verankert werden?

Köpf: Man muss die Lehrenden aufklären. Einen bewussten Umgang mit Wissen, mit Inhalten und mit der Weiterverwendung dessen, ist etwas, was man relativ unkompliziert in die Lehre mit einbringen kann. Es gibt auch schon Projekte und Lehrerfortbildungen, die die Themen Urheberrecht und Lizenzierung angehen. Wichtig ist auch die aktive Auseinandersetzung mit der Benutzung und Weiternutzung von Inhalten. Man muss sich an den Schulen aktiv mit dem Thema Datenverwendung und Urheberrecht beschäftigen.

Online-Redaktion: Wie sollten die Maßnahmen und Ziele deutscher OER-Politik aussehen?

Köpf: Auch darüber wird viel diskutiert. Hätte ich dazu eine klare Antwort, hätte die Konferenz nicht stattfinden müssen. Es gibt ganz verschiedene Ebenen, auf denen man ansetzen kann. Es wird immer klarer, dass es schon viele Best-Practice-Ansätze gibt, die gut funktionieren, die man weiterdenken kann, bei denen man ansetzen kann. Zum Beispiel gibt es verschiedene Landesmedienserver, die Inhalte frei zur Verfügung stellen, die das auch durch staatliche Gelder unterstützen. Auch die Aufklärungsebene könnte noch einmal stärker aufgegriffen werden und könnte in die Ausbildungsebene von Lehrern und Lernenden stärker aufgenommen werden. Andererseits ist aber auch ein Schaffen von Strukturen wichtig. Soll es unterschiedliche Ansätze oder eine zentrale OER-Plattform geben oder mehrere – da gehen die Meinungen auseinander. Definitiv ist es möglich, auf Länderebene und auch übergreifend Strukturen zu schaffen, die Lehrenden und Lernenden ermöglichen, Inhalte zu bearbeiten. Das Projekt serlo beispielsweise spricht mit der Plattform Lernende und Lehrende an. Nicht nur Lehrer, sondern auch Schüler und Lernende sollen selbst ihre Inhalte verbessern. Das kollaborative Arbeiten ist ein ganz wichtiger Schritt, der dabei stärker unterstützt werden soll.

Online-Redaktion: Was können wir von OER-Initiativen aus anderen Ländern lernen?

Köpf: Es gibt ein paar Initiativen, die im Rahmen der Konferenz vorgestellt wurden, zum Beispiel Norwegen. Da ist es so, dass dieser Gedanke, aus öffentlichen Geldern öffentliche Inhalte zu erstellen, per se schon als gesetzt und als logische Konsequenz existiert. OER sind dort schon die gängige Praxis. Dann gibt es Punktesysteme wie in Belgien, wo es Plattformen gibt, wo man Punkte bekommt, wenn man Inhalte hineingibt und Punktabzug, wenn man Inhalte wieder herausnimmt. Es gibt viele Vorzeigeprojekte auch in anderen Ländern, von denen wir lernen können, beispielsweise das MIT (USA), wo die Ebene des aktiven Lernens und der partizipative, kollaborative Ansatz schon vorherrscht.

Online-Redaktion: Welche Aufgaben bleiben für die Zukunft?

Köpf: Auf der Konferenz wurde sichtbar, dass die Arbeit in den gemeinschaftlichen Netzwerken uns elementar weiterbringt. Die Konferenz ist ja entstanden durch die Arbeit von vier Partnern und der deutschen UNESCO-Kommission als Schirmherr. Wir werden uns auf jeden Fall gemeinsam zusammensetzen und die Pläne für das nächste Jahr besprechen. Es gab ja bereits erste Anhörungen in den letzten zwei Jahren, das wird mit Sicherheit in der nächsten Zeit noch einmal fortgesetzt. Wikimedia Deutschland möchte sich hier gerne einbringen. Die Vernetzung der unterschiedlichen Ebenen und Interessengruppen und die Frage, was wir aus anderen Initiativen wie Open Access oder auch Wissenschaft und Forschung lernen können, wird weiterhin Thema sein.


Elly Köpf arbeitet als Projektmanagerin bei Wikimedia Deutschland e.V. im Bereich "Bildung und Wissen". Die studierte Medienwissenschaftlerin und Pädagogin verbindet in dieser Arbeit die Aufklärung über Freies Wissen mit der Frage der didaktischen Umsetzung. Ihre Themenschwerpunkte liegen im Bereich Open Educational Resources, Wikipedia im Unterricht und kollaborative Arbeitsprozesse.

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 20.09.2013
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