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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 08.03.2012:

„Wir brauchen die Quote“

Forderungen des Deutschen Frauenrates für die Gleichstellung von Frauen und Männern
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Henny Engels

Zum 101. Mal wird der Internationale Frauentag in diesem Jahr begangen – 2012 steht er unter dem Motto „Heute für morgen Zeichen setzen“. In den vergangenen hundert Jahren ist viel in Sachen Gleichberechtigung passiert, von einer Gleichstellung der Frau gerade im Erwerbsleben kann aber noch keine Rede sein. Die Online-Redaktion sprach mit Henny Engels, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates, über die Gründe.


Online-Redaktion: Der Internationale Frauentag jährt sich in diesem Jahr bereits zum 101. Mal. Frauen leben heute emanzipierter als vor 100 Jahren. Warum ist ein Frauentag noch notwendig?

Engels:
Weil trotz aller Bemühungen die Gleichstellung faktisch nicht erreicht ist. Eine gepflegte Redundanz ist notwendig, um immer wieder an die Widersprüche zwischen gesetzlicher Theorie und gesellschaftlicher Praxis zu erinnern. Der 8. März bietet eine gute Gelegenheit, dies einmal im Jahr in hoher Konzentration zu tun.

Online-Redaktion: Wo gibt es heute noch die größten Missstände bei der Gleichstellung?

Engels: Es sind etliche. Einer der schlimmsten ist die Entgeltungleichheit. Es ist nach wie vor so, dass Berufe, in denen überwiegend Frauen arbeiten, schlechter bezahlt werden als Berufe, in denen überwiegend Männer arbeiten. Aber auch gleichwertige Tätigkeiten werden oft nicht gleich honoriert. In einem Wäschereibetrieb beispielsweise verdient ein Fahrer, der die Wäschewagen aus Krankenhäusern und Großküchen transportiert, circa 15 Euro die Stunde. Die Frauen, die die Wäsche an den Mangeln fertig machen, also die nasse Wäsche auch wirklich tragen müssen, erhalten 9,20 Euro. In der gleichen Branche sind bei − nach unserer Einschätzung − gleicher Belastung, die Entgelte also deutlich unterschiedlich.

Nach wie vor sind Frauen auch in ihren Karrierechancen benachteiligt. Sie machen weniger oder schlechter Karriere als Männer, was sicher etwas mit Männerbünden zu tun hat, aber auch damit, dass Frauen immer noch überwiegend die Verantwortung für die Familienarbeit zugewiesen wird. Das gilt für die Kindererziehung, aber auch zunehmend für die Pflege Angehöriger. Frauen unterbrechen ihre Erwerbsarbeit deutlich häufiger als Männer und schränken sie zugunsten der Familienarbeit auch eher ein. Damit sinken ihre Karrierechancen. Das ist ein ziemlich großer Missstand in der Gleichstellung.

Online-Redaktion:
Ist dies von den Frauen so gewollt, oder unterliegen sie vielmehr einem gesellschaftlichen Zwang?

Engels: Ich glaube, es ist ein gesellschaftlicher Zwang, soziologisch gesprochen würde ich sagen, es ist eine Erwartungserwartung. Frauen gehen davon aus, dass die Gesellschaft von ihnen erwartet, dass sie sich eher um Küche, Kind und zu pflegende Angehörige kümmern. Das ist ein indirekter Zwang, unausgesprochen ist diese Erwartung nach wie vor da. Ich kann das gut deutlich machen an der Entwicklung der Partnermonate beim Elterngeld. Erst hießen sie Partnermonate, mittlerweile heißen sie Vätermonate, d.h. die Gesellschaft geht offenkundig selbstverständlich davon aus, dass Frauen den Löwenanteil an der Elternzeit nehmen und Väter die zwei so genannten Partnermonate, eben Vätermonate, anschließen. Denn es ist nach wie vor so, dass der größte Teil der Elternzeit von Frauen wahrgenommen wird.
Ein anderes Beispiel ist das Familienpflegezeitgesetz, das zwar, wie uns Bundesfamilienministerin Kristina Schröder in einem Gespräch erläuterte, eigentlich auf Männer zielt; diese haben aber nach unserer Wahrnehmung noch gar nicht gemerkt, dass sie die eigentliche Zielgruppe sind.

Online-Redaktion: Erklärt das auch, warum Frauen trotz ihrer guten Ausbildung immer noch wenig in Top-Positionen zu finden sind?

Engels: Ja, um eine Führungsposition zu bekleiden, muss man oder frau, so landläufig die Auffassung, eine möglichst ununterbrochene Erwerbskarriere aufweisen. Wenn Frauen durch die genannten gesellschaftlichen Umstände mehr oder weniger gezwungen werden, ihre Erwerbsbiographie immer wieder zu unterbrechen, sinken ihre Karrierechancen.
Zum anderen liegt es aber auch an gesellschaftlichen Einstellungen. Bestimmte Kreise trauen Frauen Führungspositionen immer noch nicht zu. Das ist insofern bizarr, als in mittelständischen Unternehmen ganz häufig die Töchter die Firmen übernehmen. Sehr viele mittelständische Unternehmen werden von Frauen geleitet, dennoch traut man ihnen die Führung von Unternehmen offensichtlich nicht zu. Viele männerdominierte Branchen befinden Männer für führungsfähiger. Das ist insbesondere in den technischen Berufen zu beobachten. Fähige Ingenieurinnen werden einfach übersehen.
Viele Frauen fürchten sich aber auch vor dem von ihnen vermuteten Klima in Führungsetagen. Und dies, obwohl bewiesen ist, dass sich die Präsenz von Frauen dort ausgesprochen positiv auf das Betriebsklima, die Effektivität und die Produktivität der Firma auswirkt.

Online-Redaktion:
Was könnte die Bildungspolitik dazu beitragen, dass Frauen gleichgestellter leben und arbeiten?

Engels: Die Bildungspolitik könnte mehr darauf achten, zukunftsträchtige Rollenbilder zu vermitteln. In unserem Positionspapier „Bildung lohnt immer“ fordern wir zum Beispiel, dass in der frühkindlichen Erziehung Wert darauf gelegt wird, dass Mädchen nicht selbstverständlich immer Prinzessin Lilifee sind und Jungs mit Bobbycars spielen, und dass auch schon technische Fragen und technische Bildung vorkommen. Vieles könnte anders werden, wenn es mehr Männer im Elementar- und Primarbereich gäbe. „Mehr Männer in die Kitas“ ist ein verdienstvolles Projekt des Bundesfamilienministeriums, allein schon deshalb, weil Jungs sehen, dass man nicht Feuerwehrmann, Lokführer oder Pilot werden muss, sondern auch Erzieher werden kann.

Um mehr Mädchen für die technischen Fächer zu interessieren, bedarf es aber auch der Fort- und Weiterbildungen von Lehrerinnen und Lehrern, denn diese sind ja selbst auch − genau wie alle anderen − gefangen in den Rollenstereotypen, was Mann oder Frau zu sein habe. Der Girls‘ Day und seit neuestem auch der Boys‘ Day allein reichen hier nicht aus. Man muss dies in der praktischen Unterrichtsgestaltung und im Unterrichtsmaterial deutlich machen. In den 80er Jahren während meines Studiums haben wir uns einmal mit Rollenstereotypen in den Schulbüchern befasst und uns die Mathematikbücher angeschaut. Die berühmten Textaufgaben in der vierten Klasse − der Vater bucht das Auto für den Urlaub, und die Mutter kauft die Gurken auf dem Markt − vermitteln unterschwellig ein Bild, das viel mehr bewirkt als Vorträge.

Online-Redaktion: Was halten Sie von einer Frauenquote?

Engels: Wir, als deutschlandweit größte Frauenlobby, verfechten seit vielen Jahren die Quote, weil wir festgestellt haben, dass fast alle freiwilligen Vereinbarungen scheitern. Eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote ist daher dringend erforderlich. Ein milder Zwang ist durchaus dazu geeignet, das gewünschte Ergebnis zu erzielen, damit auf Dauer tatsächlich Frauen selbstverständlich in Leitungspositionen, in Aufsichtsräten und in Vorständen zu finden sind. Und wenn aus den Dax-Unternehmen das Argument kommt, die Leitungsebene müsse die Belegschaft widerspiegeln, dann müssten alle Banken 80 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten haben, weil ca. 80 Prozent derer, die dort arbeiten, Frauen sind. Die verbindliche Quote in Parteien hat dazu geführt, dass die Zahl der Frauen in Legislative und Exekutive und letztlich auch in der Jurisdiktion deutlich zugenommen hat. Und so scheint mir auch in der Privatwirtschaft die Einführung einer gesetzlichen Quote die einzige Möglichkeit zu sein, ein gesellschaftliches Signal zu setzen. Wir brauchen die Quote dringend, sowohl als Zeichen dafür, dass wir eine moderne Demokratie sind, als auch als Zeichen dafür, dass wir die grundgesetzliche Verpflichtung aus Artikel 3 Absatz 3 ernst nehmen.

Online-Redaktion: Wer gehört dem Deutschen Frauenrat an und wie unterstützt dieser Zusammenschluss die Gleichstellung von Frauen?

Engels: Dem Deutschen Frauenrat gehören über 50 bundesweit aktive Frauenverbände und Frauengruppen gemischter Verbände an, letztere sind zum Beispiel die Frauen aus den politischen Parteien, aber auch die Frauen aus dem Deutschen Olympischen Sportbund oder dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Die Frauenverbände sind zum Teil sehr traditionelle große Verbände wie die in den Kirchen; dem Deutschen Frauenrat gehören aber auch zwischen 30 und 35 Berufsverbände an: Ärztinnen, Ingenieurinnen, Hebammen, medizinische Fachberufe u.a. Alle haben das Ziel, gemeinsam in der Lobbyarbeit für die Verwirklichung des Gleichstellungsgebots des Grundgesetzes gegenüber der Bundesregierung, dem Bundestag, den Fraktionen, den Parteien und da, wo es möglich ist, auch gegenüber der Wirtschaft, einzutreten.

Lobbyarbeit heißt, wir führen viele Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, wir verfassen Stellungnahmen zu geschlechterrelevanten Gesetzen, wir schreiben Briefe und fassen auf unseren jährlichen Mitgliederversammlungen zahlreiche Beschlüsse zu aktuellen Themen aus dem Bereich Arbeitspolitik, Sozial- und Familienpolitik, Gesundheit, Gewaltschutz, Menschenrechte, Ökologie usw. Es gibt kein Feld, das wir auslassen, wenn es uns geboten erscheint, uns dazu zu äußern, Position zu beziehen, Forderungen zu formulieren. Im Moment beschäftigen wir uns sehr intensiv mit dem Pflegeneuausrichtungsgesetz und den Konsequenzen für Frauen. Jede gesetzliche Änderung hat eine Auswirkung auf das Geschlechterverhältnis, und die Bundesregierung hat sich mit der Geschäftsordnung von 1998 verpflichtet, dieses zu berücksichtigen. Sie tut es aber nicht, und deshalb werden wir immerzu mahnend daran erinnern, öffentlich kritisieren, Verbesserungsvorschläge machen, all das, was politische Lobbyarbeit ausmacht.

Online-Redaktion:
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Engels: Wir wünschen uns, dass die Bundesregierung ihre eigene Geschäftsordnung ernst nimmt und sagt, ja, das Thema Gleichstellung ist ein Querschnittsthema, das wir alle zu beachten haben, das Innenministerium genau so wie das Wirtschafts- und das Verteidigungsministerium; wir werden das in allen Bereichen beachten und uns dazu den klugen Rat von Expertinnen einholen und deren Fragen und Anregungen hören und berücksichtigen. Dann denke ich, würde − wir haben unsere Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Frauenrates vor zehn Jahren „Die unfertige Demokratie“ genannt − diese Demokratie wirklich fertig werden.


Henny Engels
, Jahrgang 1949, Buchhändlerin, Sozialarbeiterin und Politologin, arbeitete zunächst als Diözesanvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend im Erzbistum Köln, danach als Grundlagenreferentin bei der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. Seit 2001 ist sie Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates.


Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 08.03.2012
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