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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 19.05.2011:

„Weiterbildung Sprachförderung“

Experten ermitteln Qualitätsmerkmale für Weiterbildungen im Themenfeld Sprachliche Bildung
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Prof. Dr. Iris Füssenich

Im Rahmen der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) erarbeitet eine Expertengruppe, bestehend aus Vertreter/innen aus Wissenschaft, Aus- und Weiterbildung, gemeinsam mit dem Team der WiFF Qualitätsmerkmale für die Weiterbildung im Themenfeld „Sprachförderung“. Die Online-Redaktion sprach mit Professorin Dr. Iris Füssenich, Mitglied der Expertengruppe, darüber, wie der gemeinsam entwickelte Wegweiser Weiterbildung „Sprachliche Bildung“ die Arbeit der frühpädagogischen Kräfte unterstützen kann.

Online-Redaktion: Welche Rolle spielt Sprachförderung im Kindergarten?

Füssenich: Im Elementarbereich spielt Sprachförderung eine bedeutende Rolle. Deshalb ist sie auch in allen Bildungsplänen der Bundesländer an zentraler Stelle verankert. Pädagogische Fachkräfte nehmen durch ihre Interaktionen mit Kindern, z.B. beim Spielen oder beim gemeinsamen Frühstück, auf die sprachliche Bildung von Kindern Einfluss. In Kindertageseinrichtungen wird oft ergänzend Sprachförderung angeboten für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, für Kinder mit sehr geringen Deutschkenntnissen und auch für Kinder, die in ihrer sprachlichen Entwicklung Verzögerungen aufweisen.
Zur Sprachförderung gehören weiterhin die Beratung von Eltern und Bezugspersonen über sprachförderliches Verhalten sowie die Reflexion des eigenen Sprachverhaltens, damit es sprachförderlich und auf den Entwicklungsstand von Kindern abgestimmt ist. Wichtig ist ebenso die Unterstützung von Kind-Kind-Interaktionen, denn Kinder sind für ihre sprachliche Entwicklung auch auf die Kommunikation mit anderen Kindern angewiesen. Einige Kinder benötigen darüber hinaus eine Sprachtherapie. Deshalb sollten pädagogische Fachkräfte Alarmsignale in der Sprachentwicklung erkennen und wissen, welches ergänzende Angebot für diese Kinder in Frage kommt.

Online-Redaktion: Welche Kompetenzen müssen Erzieherinnen und Erzieher aufweisen, um Kinder im Elementarbereich angemessen sprachlich zu fördern?

Füssenich: Frühpädagogische Fachkräfte müssen über umfangreiche Kompetenzen verfügen, die auch ein vertieftes Fachwissen umfassen. Bedeutsam ist, dass pädagogische Fachkräfte den Zusammenhang zwischen der sprachlichen Bildung und anderen Entwicklungsbereichen erkennen. Kinder, die eine sprachliche Förderung benötigen, haben meist auch Unterstützungsbedarf in der Spielentwicklung sowie im Umgang mit anderen Kindern. Oft benötigen diese Kinder viel Zeit, bis sie sich auf die wiederkehrenden Abläufe der Kindertageseinrichtungen einlassen können.
Weiterhin benötigen frühpädagogische Fachkräfte Wissen über sprachwissenschaftliche und entwicklungspsychologische Grundlagen, über den Spracherwerb von mehr- und einsprachigen Kindern und möglichen Schwierigkeiten, z. B. dass Kinder nicht fragen, wenn sie ihre Gesprächspartner nicht verstehen. Pädagogische Fachkräfte dokumentieren die Sprachentwicklung von Kindern und nehmen somit eine Einschätzung des Entwicklungsstands vor. Ausgehend von den unterschiedlichen Entwicklungen der Kinder planen sie die Sprachförderung und schaffen eine sprachanregende Umgebung für alle Kinder.

Online-Redaktion: Wie kann der Wegweiser Weiterbildung „Sprachliche Bildung“, den Sie mit der Expertengruppe in der Entwicklung begleitet haben, Kindertagesstätten und Erzieher/innen bei dieser anspruchsvollen Aufgabe unterstützen?

Füssenich: Der Wegweiser Weiterbildung „Sprachliche Bildung“ stellt Standards und Qualitätsmerkmale für die Weiterbildung von frühpädagogischen Fachkräften im Themenfeld sprachliche Bildung und Sprachförderung auf. Er unterstützt in erster Linie die Akteure, die Weiterbildungen für frühpädagogische Fachkräfte konzeptionieren und anbieten. Der Wegweiser gliedert sich in 4 Teile: Teil A enthält eine Zusammenstellung des fachwissenschaftlichen Hintergrunds, Teil B ein Kompetenzprofil, Teil C Weiterbildungsbeispiele und Teil D weiterführende Literaturempfehlungen der Expertengruppe. Das Kompetenzprofil zur „Sprachlichen Bildung“ stellt notwendige Kompetenzen von frühpädagogischen Fachkräften für die sprachliche Bildung in Kindertageseinrichtungen zusammen. Wie diese Kompetenzen in Weiterbildungen erlernt werden können, wird an Beispielen gezeigt. Ergänzend hat WiFF viele weitere Expertisen zu ausgewählten Themen veröffentlicht, die ebenfalls für die Aus- und Weiterbildung genutzt werden können. So zum Beispiel zum Erwerb der Erzählfähigkeit oder zum Rollenspiel. Ich habe eine Expertise zu einem meiner Arbeitsschwerpunkte verfasst: „Vom Sprechen zur Schrift: Was Erwachsene über den Erwerb der Schrift im Elementarbereich wissen sollten“.

Online-Redaktion: Gehört der Erwerb der Schrift schon in den Elementarbereich?

Füssenich: Schrift spielt in Kindertageseinrichtungen eine bedeutende Rolle. Zum Beispiel schreiben pädagogische Fachkräfte im Beisein von Kindern und sie lesen ihnen vor. Viele Kinder setzen sich bereits im Elementarbereich mit Schrift auseinander. Lange Zeit war die Schrift in den Kindertageseinrichtungen unerwünscht, weil man meinte, dass sie erst ein Thema in der Schule sein sollte. Heute wissen wir, dass sich Kinder schon sehr früh für Schrift interessieren. Sie nehmen Schrift wahr, fragen, wie ihr Name geschrieben wird, und ahmen das Schreiben von Erwachsenen nach. In allen Bildungsplänen für den Elementarbereich ist Schrift als wesentlicher Teil verankert.

Online-Redaktion: Wie werden die Qualitätsmerkmale für die Weiterbildung publik gemacht?

Füssenich: Die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte ist sehr gut verzahnt und vernetzt mit den unterschiedlichen Akteuren aus Forschung, Praxis und Fachpolitik. Die entwickelten Qualitätskriterien und Kompetenzprofile gelangen vor allem durch die Adaption der Aus- und Weiterbildungsakteure in die Praxis. Über einen fachpolitischen und einen wissenschaftlichen Beirat werden alle Ergebnisse der WiFF in die Bildungspolitik und in die wissenschaftlichen Diskussionen eingebracht. Die Expertisen und Forschungsergebnisse der WiFF sind kostenlos im Internet auf der Seite von WiFF: www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen erhältlich. Darüber hinaus präsentiert WiFF neue Ergebnisse auf eigenen Fachtagungen. Die nächste Tagung findet am 25. Mai 2011 in Berlin statt. Dort werden vor allem die Wegweiser Weiterbildung „Sprachliche Bildung“ und „Kinder in den ersten drei Lebensjahren“ vorgestellt. Die WiFF-Fachtagungen richten sich an Referentinnen und Referenten, an Träger von Weiterbildungseinrichtungen, an pädagogische Fachkräfte, Fachberatungen und Leitungen sowie an Einrichtungsträger der Fachpolitik und Fachwissenschaft.

Online-Redaktion: Wie wichtig ist die Sprachdiagnostik, die bei allen Kindern im Elementarbereich durchgeführt wird?

Füssenich: Eine Sprachdiagnostik ist in fast allen Bundesländern verpflichtend und sie verfolgt das Ziel, Sprachförderbedarf von Kindern frühzeitig zu erkennen und entsprechend Sprachförderung anzubieten. Dieses Vorgehen ist sehr bedeutsam, jedoch müsste die Umsetzung verbessert werden. In den Bundesländern gibt es 17 verschiedene Verfahren. Kein Verfahren kann den Anspruch erheben, den Sprachstand eines Kindes vollständig zu erfassen. Kinder entwickeln sich auf den einzelnen Sprachebenen unterschiedlich. Unsere Forschungen zeigen, dass zum Beispiel mehrsprachige Kinder, wenn sie einen Sprachförderbedarf haben, auf jeden Fall eine Unterstützung beim Bedeutungserwerb benötigen. Doch nicht jedes der 17 eingesetzten Verfahren erfasst diesen wesentlichen Bereich des Spracherwerbs. Einige Verfahren legen die Stufen der kindlichen Sprachentwicklung von Kindern mit Deutsch als Erstsprache zugrunde und sind deshalb nicht sehr aussagekräftig für die Sprachentwicklung von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache. Weiterhin sind die Bedingungen, unter denen Kinder die Erst-, Zweit- und Familiensprache erwerben, bedeutsam und sollten in die Bewertung der Sprachentwicklung von Kindern eingehen.

Die Sprachdiagnose ist zwar in allen Bundesländern verpflichtend, die sich hieraus ergebenden Sprachförderangebote jedoch nicht. Außerdem liegt die Auswahl des Förderangebots meist in der Entscheidung des Trägers. Bei zahlreichen diagnostischen Verfahren lassen sich keine unmittelbaren Konsequenzen für die Förderbereiche ableiten. Oft setzen frühpädagogische Fachkräfte deshalb weitere Verfahren ein, um den Sprachförderbedarf zu erfassen, damit sie eine Grundlage für ihre Förderung haben.

Online-Redaktion: Was halten Sie von der Akademisierung der Erzieher/innenausbildung?

Füssenich: Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem die Ausbildung von frühpädagogischen Fachkräften noch nicht überall auf Hochschulniveau erfolgt. Allein schon aus diesem Grund ist eine Akademisierung der Erzieher/innenausbildung dringend erforderlich. Die Bedeutung des Elementarbereichs für die kindliche Entwicklung ist bildungspolitisch unumstritten wichtig und deshalb sollte auch das Niveau der Ausbildung möglichst hoch sein. Ich halte ein Hochschulstudium für sehr angemessen. Natürlich braucht es Zeit, bis die entsprechenden Dozentinnen und Dozenten vorhanden sind, und auch eine sinnvolle Verzahnung von Theorie und Praxis stattfindet.

Online-Redaktion: Sie selbst sind seit 1987 Professorin für den Förderschwerpunkt Sprache und Kommunikation an der Fakultät für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg/Reutlingen. Welches Know-how konnten Sie in die Arbeit der WiFF-Expertengruppe einbringen?

Füssenich: Da ich zuvor vier Jahre die wissenschaftliche Begleitung bei der Implementierung des Orientierungsplans für die baden-württembergischen Kindertageseinrichtungen mit dem Blick auf förderbedürftige Kinder leitete, konnte ich diese Projekterfahrungen und Erkenntnisse einbringen. In der wissenschaftlichen Begleitung hatten wir die Möglichkeit, von einzelnen Kindern ihre Fähigkeiten, aber auch ihren Förderbedarf über einen längeren Zeitraum hin intensiv zu erfassen. Dabei zeigte sich, dass zahlreiche Kinder in den Alltags- und Spielformaten, also in den wiederkehrenden Abläufen, erheblichen Förderbedarf haben, was sich natürlich auch in der Sprachentwicklung niederschlägt. Dadurch war ich nah an der Praxis der frühpädagogischen Fachkräfte. Zur wissenschaftlichen Begleitung des Orientierungsplans gehörten auch regelmäßige Fortbildungen für die an dem Projekt beteiligten Fachkräfte, so dass ich diese Erfahrungen in die Expertengruppe einbringen konnte. Und natürlich lenke ich als Professorin für den Förderschwerpunkt Sprache und Kommunikation ebenfalls den Blick auf Kinder, die eine Sprachtherapie benötigen. Sprachliche Bildung, Sprachförderung und Sprachtherapie in Theorie und Praxis sowie in Lehre und Forschung gehören zu meinen Tätigkeiten als Professorin.

Online-Redaktion: Was kann die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte aus Ihrer Sicht leisten?

Füssenich: Diese Initiative leistet einen sehr wichtigen, aktuell vielleicht den wichtigsten Beitrag zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von frühpädagogischen Fachkräften. Besondere Ziele sind die Entwicklung eines kompetenzorientierten Qualitätsrahmens als Grundlage für die Aus- und Weiterbildung von frühpädagogischen Fachkräften und von Handreichungen für Weiterbildungsangebote. Daneben stellt WiFF hilfreiche Materialien für Themenfelder aus der Kita-Praxis zur Verfügung, die den aktuellen Stand der Wissenschaft und Fachdiskussionen aufzeigen. WiFF fördert insbesondere Modellprojekte, die Erziehern und Erzieherinnen Karrierewege eröffnen und die Anrechenbarkeit von Fort- und Weiterbildung auf die individuelle Bildungsbiografie im Blick haben.
Vor allem durch die Verzahnung der unterschiedlichen Akteure aus Wissenschaft, Kita- und Weiterbildungspraxis und Fachpolitik, die in der Weiterbildungsinitiative zusammenkommen, werden wichtige Impulse für bildungspolitische Veränderungen gesetzt. Die umfangreichen Erhebungen der WiFF zu ausgewählten Fragestellungen zeigen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den einzelnen Bundesländern auf und legen den Schwerpunkt auch auf diese Schwachstellen: Zum Beispiel auf die Sprachdiagnose. Diese ist verpflichtend, eine anschließende Förderung nicht unbedingt.

Online-Redaktion: Was erhoffen Sie sich von WiFF?

Füssenich: Ich wünsche mir, dass durch die Aktivitäten der WiFF das Aus- und Weiterbildungssystem für frühpädagogische Fachkräfte weiter entwickelt und optimiert wird. Auch die Bedeutung der frühkindlichen Bildung allgemein muss im Blickfeld der Öffentlichkeit bleiben. Ich hoffe sehr, dass so die Wertschätzung der täglichen Arbeit steigt, die frühpädagogische Fachkräfte leisten, und dass sich die Bedingungen für sie und für die Kinder verbessern. Darüber hinaus erhoffe ich mir, dass bei frühpädagogischen Fachkräften, den Kindern und den Eltern ankommt: Es sind nicht die großen Projekte, die sprachliche Bildung befördern und gewährleisten, sondern die alltäglich wiederkehrenden Situationen, die Kindern Sicherheit geben und die Basis für die frühkindliche Bildung darstellen.


Iris Füssenich ist Mitglied der Expertengruppe Wegweiser „Sprachliche Bildung“ und im Wissenschaftlichen Beirat der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). Sie lehrt den Förderschwerpunkt Sprache und Kommunikation an der Fakultät für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg/Reutlingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Wissenschaftliche Begleitung des Orientierungsplans für Baden-Württemberg, Schwerpunkt behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder; Sprachförderung und -therapie bei kindlichen Sprachstörungen, Alphabetisierung und Prävention von Analphabetismus.

 

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 19.05.2011
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