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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 10.04.2008:

(K)ein Wunderkind? Der „Bachelor“ an deutschen Unis

Die „Mutter aller Reformen“ in der deutschen Hochschullandschaft soll 2010 vollendet sein
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Bildrechte: Bologna-Process

"Nie kehrst du wieder, gold'ne Zeit, so frei und ungebunden..." – das alte Studentenlied aus dem 19. Jahrhundert ließe sich nach Meinung mancher Nostalgiker und Reform-Skeptiker heute lauter denn je anstimmen. Denn einer, der irgendwann vor oder in den 1990er Jahren seinen Abschluss an einer deutschen Universität gemacht hat, wird die Alma Mater im Jahre 2008 nicht wiedererkennen. Der dreijährige Bachelor als eigenständiger erster Abschluss ist im Begriff, das Grundstudium vollständig abzulösen, der Master den Magister oder das Diplom zu ersetzen, der Credit Point den Seminarschein, das Modul die Themenwahl, die Studiengebühr das weitgehend kostenfreie Studium. Die deutsche Hochschullandschaft steckt mitten im vielleicht einschneidendsten Wandel seit den Bildungsreformen durch Wilhelm von Humboldt vor 200 Jahren. Bis 2010, so die Vorgabe im Vertrag von Bologna, soll unter anderem die Umstellung vom alten Studiensystem zum zweistufigen Bachelor-Master-System in Europa unter Dach und Fach sein.

„Wundermittel“ Bachelor
Ein zügigeres Studium, international vergleichbare Abschlüsse und höhere Flexibilität innerhalb Europas sind drei besonders wichtige Ziele der Reform, zu der sich mittlerweile 46 Staaten verpflichtet haben. Klarer sollen die Leistungsanforderungen sein, seltener die Studienabbrüche, größer die Nähe zur Berufspraxis. Insbesondere Deutschland mit seiner im internationalen Vergleich niedrigen Zahl an Akademikern will hier Fortschritte erreichen. Der Bachelor gilt da vielen als Wundermittel. Früher hatte ein Studierender keinen Abschluss vorzuweisen, wenn er nach dem Grundstudium und nach vollen zwei bis drei Jahren an der Uni sein Studium abbrach. Nun aber verleihen die deutschen Universitäten bereits nach sechs Semestern einen ersten Abschluss, vergleichbar mit dem besonders an englischsprachigen Lehranstalten längst eingespielten Bachelor. Qualitätsvoll und international anerkannt soll er sein – so zumindest die Hoffnung. Für Bernhard Kempen, dem Kölner Juraprofessor und Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes, ist sie trügerisch: „Die Studierenden von heute erinnern mich an den berühmten Hamster im Laufrad. Das modularisierte und verschulte Bachelor-Studium lässt ihnen kaum Freiräume“, gibt er im DSW-Journal des Studentenwerks vom Januar 2008zu bedenken. Wenig Zuspruch zur Reform kommt nach wie vor auch von vielen Studierendenschaften. Zu verschult, zu inhaltsarm, zu teuer, zu schnell und insgesamt zu wenig an die Bedürfnisse junger Menschen angepasst, die ihr Studium ganz oder teilweise durch Nebenjobs finanzieren müssen – so lautet die Kritik.

Andere sehen die Reform positiv. Dazu gehören offenbar viele Studierende selbst. In einer von 2006 bis 2007 durchgeführten Befragung des Hochschul-Informations-Systems (HIS) bewerten die ersten Bachelorabsolventen von 2005 ihr Studium im Vergleich zu Absolventen anderer Studiengänge besser. Das Zugpferd scheint laut dieser Umfrage die ganze Entwicklung in Schwung zu bringen. Auch die Absolventen mit herkömmlichen Master- und Diplom-Abschlüssen bewerten ihre Situation im Vergleich mit früheren Jahrgängen besser. „Die Umstellung auf die neuen Abschlüsse erweist sich mit Blick auf die ersten Bachelorabsolventen somit als durchaus erfolgreich“, heißt es in der Pressemitteilung der HIS vom November 2007.
Dies sind, wohlgemerkt, erste Auswertungen. „Die Mutter aller Reformen“ in der ehrwürdigen deutschen Alma mater, wie sie der Germanist Wolfgang Frühwald in der „Zeit“ vom 17. Januar 2008 nannte, entwächst tatsächlich gerade einmal den Kinderschuhen. „Die Umstellung verläuft insgesamt nicht befriedigend genug. Im Sommersemester 2006 waren nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz gerade 36 Prozent aller Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt.“ Dies konstatierte der Leiter der Arbeitsstelle Bildungsrecht und Hochschulentwicklung an der Freien Universität Berlin im Fach Erziehungswissenschaft, Dr. Peter Wex, noch vor zwei Jahren in einem Interview.

Weniger Studienabbrecher, aber hohe Abbruchquote beim Bachelor
Dass die hohen Ziele in vielen Punkten bis heute noch nicht erreicht sind, legen Untersuchungen des HIS nahe. Die Statistiker ermittelten, dass die Quote der Studienabbrecher über alle Fächergruppen und Hochschulen nach Einführung des Bachelor zwar um einen Prozent auf insgesamt 21 Prozent gesunken ist. Von 100 eingeschriebenen Studierenden verlassen damit 21 die Hochschule ohne Examen. In den Studiengängen des Bachelor liegt die Zahl der Abbrecher jedoch höher, bei 25 Prozent. An den Fachhochschulen werfen gar 39 Prozent der neuen Bachelor-Studentinnen und -Studenten vorzeitig das Handtuch. Vor allem angehende Jungakademiker in den Ingenieurwissenschaften, in Maschinenbau und Elektrotechnik verlassen die Universität ohne Abschluss. Hier gehen also Akademiker verloren, die auf dem Arbeitsmarkt derzeit sehr gefragt sind. Der HIS-Projektleiter Dr. Ulrich Heublein sieht die Verantwortung dafür indes nicht in der Umstellung auf den Bachelor: „Eher muss man fragen, wie gut die verschiedenen Disziplinen die Reform ungesetzt haben.“ Während beispielsweise in Sozialwesen nur noch zehn Prozent abbrechen (1999 waren es noch 40 Prozent!), sich das gestraffte Studium hier also positiv auswirkt, scheint in den Ingenieurwissenschaften das Gegenteil der Fall zu sein. Weniger Zeit bei gleicher oder gewachsener Stoffmenge erhöht bei angehenden Ingenieuren den Druck, die Enttäuschung – und schließlich die Gefahr des Scheiterns.

Kaum Bereitschaft zum Universitätswechsel unter Bachelor-Studierenden
Kritisch zu sehen ist vor allem der von der Bologna-Konferenz als zentral angesehene Faktor der Mobilität. Auf der Veranstaltung des HIS Mitte März 2008 in Hannover wurde deutlich: Ein zügiges Studium und die derzeit als unklar empfundene Anerkennung von Bachelor-Abschlüssen an anderen Universitäten lassen viele Studierende im Bachelor zögern, den Hochschulstandort zu wechseln. Gerade die innerdeutsche Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen sei oftmals problematisch, gibt Hermann Reuke zu bedenken. Der Geschäftsführer der Zentralen Evaluations- und Akkreditierungsagentur (ZEvA) in Hannover muss es wissen, kümmert sich seine Einrichtung doch um die Akkreditierung von Abschlüssen. Eine „einheitliche Linie der Bundesländer“, wie sie die Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz Christiane Gaethgens unlängst forderte, liegt also noch in der Ferne. Sicherlich spielt die Föderalismusreform, welche die Zuständigkeiten im Hochschulbereich fast komplett in die Hände der Bundesländer gelegt hat, in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Nur wenn sich die Bundesländer und dann die jeweiligen Universitäten entsprechend aufeinander abstimmen, kann der Bachelor-Student aus München bedenkenlos zum Master-Studium nach Hamburg wechseln – ohne das Gefühl zu haben, dafür zuvor erst einmal ein Studentenvisum beantragen zu müssen.  „Mehr Freiheit bedeutet nicht, jedes Land macht, was es will“, brachte es die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) schon vor zwei Jahren auf den Punkt.

„Welcome Bachelor“? Unternehmen sehen den Abschluss positiv
Wirklich signifikante Ergebnisse zur Berufssituation nach dem Bachelor liegen noch nicht vor. Zu jung ist dieser Abschluss dafür in Deutschland. Zudem beginnt je nach Fachrichtung und Universität ein Viertel bis 100 Prozent aller Bachelor-Examinierten noch ein weiterführendes Studium wie den Master. Trotz des Phänomens „Generation Praktikum“, einer starken Zunahme befristeter Arbeitsverträge und im Vergleich zu 2001 sinkender Einstiegsgehälter ist die Zahl der arbeitslosen Jungakademiker auch mit traditionellen Abschlüssen prozentual eher gering. Nur 5 Prozent der Graduierten von Fachhochschulen und 3 Prozent der Absolventen von Universitäten finden auch 12 Monate nach ihrem Abschluss keine Beschäftigung. Dem Bachelor rechnen die meisten Studierenden dies nicht zu. In einer Befragung der Freien Universität Berlin vom Juni 2006 beurteilten 64 Prozent der Interviewten die Verbindung von Theorie und Praxis und damit die Vorbereitung auf das Berufsleben im Bachelor-Studium als „eher schlecht.“ Diese negativen Einschätzungen korrespondieren nicht mit einigen Meldungen aus der Wirtschaft. Firmen, die Bachelor-Absolventen eingestellt haben, bewerten den neuen Abschluss vorwiegend positiv. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Berlin gaben 67 Prozent der Unternehmen an, dass sich ihre Erwartungen beim Einsatz von Bachelor-Absolventen erfüllt hätten. Also „Welcome Bachelor!“, wie es führende Unternehmen bereits 2004 in einer Erklärung ausriefen? Eines ist klar: „Willkommen und Abschied“ wird es für den Bachelor, der sich in Deutschland immer mehr etabliert, künftig nicht mehr heißen.

Autor(in): Arndt Kremer
Kontakt zur Redaktion
Datum: 10.04.2008
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