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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 07.07.2007:

Mehr Mobilität in der Berufsbildung!

Konsultation zum europäischen Leistungspunktesystem für die Berufsbildung abgeschlossen
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Isabelle Le Mouillour

Die EU-Kommission hat einen europaweiten Konsultationsprozess zum "Europäischen Leistungspunktesystem für die Berufsbildung" (ECVET) durchgeführt. Die Konsultationsergebnisse wurden auf der Konferenz "Lernraum Europa verwirklichen" Anfang Juni in München diskutiert. Bildung PLUS sprach mit Isabelle Le Mouillour, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Sie übt in der ECVET-Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission eine beratende Funktion aus.

Bildung PLUS: Der Entwicklung und Umsetzung eines Europäischen Anrechnungssystems für die Berufsbildung (European Credit Transfer System for VET - ECVET) wird seit der Entschließung des Rates "Bildung 2002" und seiner Bestätigung in den Verträgen von Kopenhagen und Maastricht hohe Priorität verliehen. Was genau ist der ECVET und was soll mit ihm erleichtert werden?

Le Mouillour: ECVET ist ein europäisches System für die Übertragung, Akkumulierung und Anerkennung von Lernleistungen im Bereich der Berufsbildung (siehe Konsultationspapier der Europäischen Kommission, 2006). Zum einen soll ECVET dazu beitragen, die Mobilität von Lernenden (Jugendliche und Erwachsene) auf ihrem Berufsbildungsweg zu erleichtern, und zwar innerhalb eines nationalen Systems bzw. zwischen verschiedenen nationalen Systemen. Zum anderen sollen die räumliche und berufliche Mobilität sowie die Karriere des Einzelnen und damit auch seine Entwicklung und Beschäftigungsfähigkeit gefördert werden.

Bildung PLUS: In welchem Verhältnis steht der ECVET zu der geplanten Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQF)?

Le Mouillour: ECVET und EQF sind eng miteinander verknüpft. EQF bietet eine Grundlage für eine einheitliche Beschreibung der Qualifikationen in Europa, auf die ECVET aufbaut. Die ECVET-Grundkonzepte (Lernergebnisse, Qualifikationen, Niveaus, etc.) sind dem EQF entnommen. Qualifikationen und Lernergebnisse können im Rahmen des europäischen bzw. der nationalen Qualifikationsrahmen Niveaus zugeordnet werden. Dadurch wird eine Referenz für den Transfer und die Anerkennung von Lernkrediten (credits) im Kontext von Mobilität angeboten. Die Verknüpfung wird mit der empfohlenen Anwendung des Europasses eindeutig.

Bildung PLUS: Die Europäische Kommission hat eine technische Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich aus von den Mitgliedstaaten ernannten Sachverständigen und Vertretern der Sozialpartner zusammensetzt. Die Gruppe soll die möglichen Optionen für die Konzeption, die Einführung und die Weiterentwicklung eines Systems zur Übertragung von Leistungspunkten, das mit den Besonderheiten der beruflichen Bildung vereinbar ist, klären. Sie üben in der ECVET-Arbeitsgruppe eine beratende Funktion aus. Welche wesentlichen Merkmale des ECVET-Systems stellt die Arbeitsgruppe im Dokument heraus?

Le Mouillour: Wenn man die Merkmale zusammenfassen möchte, kommt man auf drei Hauptthemen:

1. Inhaltliche Merkmale: Qualifikationen sind ein zentrales Element. Diese werden zum Zweck der Übertragung in Lerneinheiten aufgegliedert. ECVET wurde als europäisches Instrument konzipiert, das die Vielfalt der Berufsbildung in Europa berücksichtigt: Gemeinsam haben die Berufsbildungssysteme (in mehr oder weniger starker Ausprägung) eine lernergebnisbasierte Beschreibung der Qualifikationen und/oder Abschlüsse. Die Übertragung von Lernergebnissen bedarf deren Bewertung, Validierung und Anerkennung im jeweiligen Bildungskontext;

2. Gestalterische Merkmale: Die Anwendung von ECVET findet im Rahmen von so genannter Partnerschaft statt. Dabei werden die zuständigen Behörden, die betroffenen entsendenden und die aufnehmenden Bildungseinrichtungen/-anbieter und die Lernenden einbezogen;

3. Bildungspolitische/regulative Merkmale: ECVET ist im Rahmen des Kopenhagen-Prozesses angesiedelt und wurde seit der selbigen Erklärung durch die Bildungsminister in seinen Zielsetzungen bestätigt. ECVET beruht bei seiner Umsetzung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Durch das Konsultationsverfahren und die Zusammenstellung der technischen Arbeitsgruppe waren alle Stakeholders mit dem Thema befasst.

Bildung PLUS: Die Europäische Kommission konsultierte bis März 2007 alle am Arbeitsprogramm "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" beteiligten Länder und die relevanten Institutionen zu dem Dokument der Arbeitsgruppe. Welche vom Dokument abweichenden Forderungen und Bedürfnisse haben sich durch die Konsultation ergeben?

Le Mouillour: Die Konsultation hat die Zielsetzungen vom ECVET bekräftigt. Die vorläufigen Auswertungsergebnisse, die auf der europäischen Konferenz (Juni 2007) vorgestellt wurden, weisen auf einige Klärungsbedürfnisse und Forderungen hin.
- Der bzw. die Anwendungsbereiche vom ECVET sollen klar dargestellt werden: das formelle Lernen, das informelle Lernen, die berufliche Erstausbildung, die Weiterbildung, etc.;
- Die Merkmale und Konzepte sollten klarer definiert werden;
- Gemeinsame Methoden und Verfahren zur Bewertung von Lernergebnissen, die die Erfassung und Übertragung der Lernergebnisse ermöglichen, sollten entwickelt werden;
- Die Zusammenhänge und Verknüpfungen zwischen ECVET, EQF, Europass und CQAF sollten eindeutiger vorgestellt und genutzt werden;
- Die Rolle der Leistungspunkte sollte geklärt werden, nicht zuletzt im Hinblick auf ECTS (das Credit System für die Hochschulbildung in Europa);
- Stärker als im Dokument vorgeschlagen, wurde gefordert, die Verbindung zwischen ECVET und ECTS auszuarbeiten, um beide Instrumente im Sinne des lebenslangen Lernens und der Durchlässigkeit zwischen den Bildungssegmenten zu gestalten;
- Eine der Hauptforderungen ist, ECVET in einer Erprobungsphase zu testen und anschließend im Sinne eines "lernenden" Instrumentes weiterzuentwickeln, bevor es im vollen Umfang Anwendung findet.

Bildung PLUS: Die Ergebnisse wurden auf der europäischen Konferenz "Lernraum Europa verwirklichen" Anfang Juni in München diskutiert. Auf welche Schlussfolgerungen konnte man sich einigen?

Le Mouillour: ECVET wird weiterentwickelt und zwar in Hinblick auf einen europäischen bildungspolitischen Prozess und auf einen Prozess der Bildungspraxis im Rahmen von europäischen Projekten zur Erprobung vom ECVET.

Bildung PLUS: Mit welchen Schwierigkeiten ist bei einer Einführung von ECVET in den Ländern zu rechnen?

Le Mouillour: In den Jahren 2006 und 2007 hat das BIBB zwei von der Europäischen Kommission geforderte europaweite vergleichende Studien (ECVET Reflector und ECVET Connexion ) in Konsortien durchgeführt. Zum jetzigen Zeitpunkt werden die Endberichte beider Studien finalisiert. Wir haben die 33 Berufsbildungssysteme Europas auf ihre "ECVET-Affinität" untersucht und notwendige Adaptionen des ECVET als Instrument identifiziert. Dabei haben wir u. a. Folgendes festgestellt:
- "ECVET wirkt als ein externes Element, das einerseits interne Spaltungen in den Qualifikations-/Bildungssystemen verstärken kann, anderseits längst fällige Innovationen in diesen Systemen initiieren kann. Gemeinsam haben diese zwei Auswirkungen, dass sie Transparenz und Gleichwertigkeit in den Systemen, zwischen den Berufsbildungseinrichtungen und den zuständigen Stellen fördern."
- "Die ECVET-Ziele und -Bestandteile werden in Europa weitgehend positiv aufgenommen. Allerdings machen die Studien ebenfalls deutlich, dass die Anwendung und Umsetzung von ECVET nicht ohne seine Adaption an die nationalen/regionalen Systeme möglich sind."
- "Die Umsetzung von ECVET kann auf einzelne Aspekte der nationalen/regionalen Berufsbildungssysteme Auswirkungen haben, ohne ihre grundlegenden Merkmale in Frage zu stellen"

Bildung PLUS: Mit der Konferenz in München wurde der Konsultationsprozess abgeschlossen und das Zustimmungsverfahren zum ECVET-System eingeleitet. Wie wird das Vorhaben zukünftig vorangebracht werden? Wann ist mit dem Beschluss, wann mit der Einführung von ECVET zu rechnen? Was müssen die einzelnen Länder bzw. ihre zuständigen Behörden leisten, um das System zu ermöglichen?

Le Mouillour: Die europäische technische Arbeitsgruppe zu ECVET hat sich neu formiert und kurzfristig wird eine Redaktionsgruppe die Konsultationsergebnisse in einer neuen Fassung des ECVET-Vorschlages einarbeiten.
Ein europäischer ECVET-Beschluss wird für Ende des Jahres / Anfang 2008 erwartet. Parallel wird auf europäischer Ebene das ECVET-Vorhaben über die Förderung von Pilotprojekten (ähnlich die Ausschreibungen zu EQF-Pilotprojekten vom letzten Jahr) weitergeführt.

Anzumerken ist, dass in vielen europäischen Mitgliedsstaaten eigene Initiativen zur Entwicklung von Credit Systemen stattfinden. Beispielsweise werden in Deutschland Pilotprojekte zur Entwicklung und Erprobung eines Leistungspunktesystems zur Erfassung, Übertragung und Anrechnung von Lernergebnissen/Kompetenzen in der Berufsbildung im Zeitrahmen 2007 bis 2010 durchgeführt. Zurzeit finden bereits im Rahmen der ANKOM-Initiative  Projekte zur Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge statt.


Isabelle Le Mouillour, Projektmanagerin und Forscherin im Arbeitsbereich "Internationales Monitoring und Benchmarking / Europäische Berufsbildungspolitik" des Bundesinstituts für Berufsbildung. Seit 2003 bildet ECVET neben der vergleichenden Analyse der Berufs- und Hochschulbildungssysteme in Europa einen ihrer Arbeitsschwerpunkte.


Literatur: Die Studien ECVET Reflector und ECVET Connexion sind in einem Beitrag im kommenden BWP 04/2007 zur Zukunft beruflicher Bildung ausführlicher dargestellt: Le Mouillour, I./Gelibert, D. (2007). Wenn ECVET umgesetzt werden soll, .... In: BWP- Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Ausgabe 04/2007 Zukunft berufliche Bildung! Erscheinung 01.08.07.

 

Autor(in): Petra Schraml
Kontakt zur Redaktion
Datum: 07.07.2007
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