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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 08.11.2001:

"Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze"

Museumspädagogin König über den Bildungsort Kindermuseum
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Forum Bildung: Im Gegensatz zu anderen Museen ist im Kindermuseum Anfassen sogar ausdrücklich erwünscht. Ist das die Umsetzung des alten Bildungsbegriffes "Kopf, Herz und Hand"?

König:
Ich habe mit dem Begriff des "Anfassens" so meine Probleme, denn Anfassen an sich stellt ja noch keine Qualität dar. Aus diesem Grund heißt es in den USA seit einigen Jahren auch nicht mehr "Hands on", sondern "Minds on". Im Grunde geht es darum, dass man sich Dingen adäquat, also auch mit dem Kopf, nähert und dass Kinder grundsätzlich anders lernen als Erwachsene. Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze, sondern Bildungsorte. Wir wollen Kinder dazu animieren, Lebensumstände zu hinterfragen. Warum steht ein Tisch auf vier Beinen besser als auf zweien? Eine Art Sendung mit der Maus, die aber nicht auf bildhafte Erklärungen beschränkt ist.

Forum Bildung: Also sind Kindermuseen, wie George Tabori sagte, Fitnesscenter der Sinne...?

König: Auf jeden Fall. Ich habe schon das Gefühl, dass Kinder bei uns mit wachen Sinnen durch das Haus gehen. Wir haben momentan eine Ausstellung zum Thema Lego. Auch wenn wir uns dem Vorwurf des Markenkults aussetzen, erreichen wir mit dieser Ausstellung zwei Ziele: Erstens machen wir das Museum als Museum spannend und stellen zweitens den Alltagsbezug der Kinder her. Kinder verstehen intuitiv den Sinn eines Museums, wenn man ihnen erklärt, dass einige Exponate in Vitrinen stehen, weil sie etwas besonderes sind und dass diese Lego-Objekte nicht mehr das Gleiche wären, wenn sie jeder anfassen dürfte. Auf der anderen Seite ist das Bauen bei einer Lego-Ausstellung unabdingbar. Eltern, vor allem Väter, und ihr Nachwuchs werden gemeinsam zu Kindern und sitzen begeistert im Legobecken. Gemeinsam etwas getan zu haben, ist für beide eine tolle Lernerfahrung.

Forum Bildung:
Eltern können den Kindern ja auch den Spaß nehmen, wenn sie das Bauvorhaben dann selbst in die Hand nehmen.

König:
Ja. Das gibt's hier auch. Wir unterscheiden aber zwischen Museums- und Workshopbereich. Bei den Workshops müssen die Eltern draußen bleiben, weil wir festgestellt haben, dass sie sich oft nicht zurücknehmen können. Entweder sie übernehmen die Initiative und lassen die Kinder nicht machen oder bringen diese konkurrierende Ebene mit hinein - immer mit einem Blick auf das Treiben am Nachbartisch. Im Museumsbereich sind viele unserer Experimente darauf ausgelegt, dass man sie gemeinsam machen muss - Eltern können die Anleitungen lesen und erklären oder es werden drei Leute benötigt, um das Experiment durchzuführen. Mit diesen verteilten Rollen scheint es auch ganz gut zu funktionieren. Wenn sich in einem Kindermuseum nur die Kinder wohlfühlen, ist das für diese zwar traumhaft, aber es würde natürlich niemand kommen, weil sich die Eltern langweilen.

Forum Bildung:
Das Museum ist nicht nur für Kinder gemacht, sondern diese machen auch mit. Wie wichtig ist es, dass sich Kinder mit dem Museum identifizieren?

König: Wichtig ist, dass die Kinder spüren, dass wir nicht nur Kultur für Kinder machen, sondern auch die Kultur der Kinder hier Raum hat. Kinder sehen, dass die Fliesen der Sanitärräume von Kindern bemalt wurden oder nehmen wahr, dass die Stühle im Museumscafe von ihren Altersgenossen gestaltet worden sind. Ein positiver Effekt dieses Miteinanders ist, dass wir kaum negative Erfahrungen mit Zerstörungswut oder Vandalismus machen.

Forum Bildung: Fast jedes Museum ist einem thematischen Bereich zuzuordnen - ob Technik, Kunst oder Völkerkunde. Das Kindermuseum verzichtet darauf. Warum?

König: Keiner Sparte verschrieben zu sein, ist der Vorzug von einem Museum, das sich an einer bestimmten Zielgruppe orientiert. In einem Museum für Kinder ist es kontraproduktiv irgendein Thema ausklammern zu wollen. Es gibt natürlich immer Themen wie Schrift und Kleidung zum Beispiel, die näher liegen als griechische Münzen oder Chemie. Unsere Erfahrungen aus den Workshops haben aber gezeigt, dass sich Kinder sich sehr wohl drei Tage intensiv mit einem Thema beschäftigen können und das auch wollen. Dabei darf man die Konzentrationsfähigkeit von Kindern aber nicht überstrapazieren. Die wollen sich drei Tage mit dem Thema "Was ist Luft?" beschäftigen, aber dann ist auch die Luft aus dem Thema raus.

Forum Bildung: Sie haben eine Sommerakademie und bieten Tages-Workshops an. Versuchen Sie auf diese Art, ihr Einzugsgebiet zu vergrößern?

König: Das Gros der Kinder kommt natürlich aus Fulda, aber in den Sommerferien haben wir auch kleine Gäste von außerhalb, die ihre Eltern überzeugt haben, dass eine Woche in Fulda auch nicht schlecht sein muss. Die Eltern gehen wandern und sind froh, dass ihre Kinder drei Tage lang sinnvoll beschäftigt sind.

Forum Bildung: Die Workshops werden von Experten geleitet. Wie stellen sich denn erfolgreiche Architekten an, wenn sie mit Kindern arbeiten, die auch vor großen Namen keinen Respekt haben?

König: Wir haben überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Ich frage die Fachleute - ob Architekten oder Chemiker - auch immer gleich am Anfang, ob sie sich zutrauen, einen Workshop mit 15 Kindern zu leiten. Viele sind tatsächlich nervös, aber dadurch, dass sie nicht erst zum Workshop auftauchen, sondern schon in der Planung und Konzeption aktiv mitarbeiten, ist diese Angst schnell verflogen.

Forum Bildung: Die Politik hat die Kindertagesstätte als Bildungseinrichtung entdeckt. Welche Rolle könnten den Kindermuseen in der frühkindlichen Förderung zukommen?

König: Wir merken, dass Kindertagesstätten das Kindermuseum immer mehr als Ausflugsziel nutzen. Wir sehen uns in diesem Fall als ein Partner, der Workshops wie "Experimentieren im Vorschulalter" oder Veranstaltungen für Erzieherinnen anbietet. Kinder interessieren sich auch in diesen jungen Jahren sehr für naturwissenschaftliche Fragen, doch Erzieherinnen, denen momentan sehr viel aufgebürdet wird, können diese Aufgabe ohne adäquate Aus- und Fortbildung gar nicht leisten.

Forum Bildung: Kindermuseen und die sogenannte "Hands on"-Bewegung sind in den USA schon uralt. Warum springen die Europäer so spät auf diesen Zug auf?

König: Das Museum als Volksbildungsstätte hat seinen Ursprung in den USA. Die Amerikaner haben ein anderes Verständnis vom Museum an sich. Wenn Sie dort lachen, kommt nicht jemand mit erhobenem Zeigefinder um die Ecke. Im amerikanischen Museumsmodell stand schon immer das Vermitteln im Vordergrund. In den 70er Jahren - mit dem Einstellen der ersten Museumspädagogen - gab es in Deutschland schon einmal einen Versuch, Kindermuseen zu etablieren, der allerdings kläglich gescheitert ist. Ich glaube, man wollte damals einfach keine Kinder im Museum haben. Jetzt ist das Thema en vogue. Ich bin aber nicht sicher, ob dem aktuellen Boom wirklich eine tiefere innere Einsicht zugrunde liegt oder ob die Museen nicht einfach versuchen, die Besucherzahlen in die Höhe zu schrauben, denn Kinder kommen ja bekanntlich nur in Gruppen.

Forum Bildung: Nicht nur ein anderes Verständnis vom Museum an sich scheinen die Amerikaner zu haben, sondern auch von der Finanzierung.

König: Ja. Auch in diesem Bereich unterscheiden wir uns sehr krass von den USA. Die Finanzierung in den USA ist nicht so staatlich geprägt wie in Deutschland und viel mehr Menschen fühlen sich verpflichtet, ihr Geld in solche Projekte zu stecken. Dafür ernten sie gesellschaftliche Anerkennung, während hierzulande die Förderung von Kinderprojekten kein Prestige verspricht. Das Kindermuseum in Fulda würde ohne seine Mäzene, die Familie Bonzel, nicht in dieser Form existieren können. Sie haben nicht nur das Museum gegründet, sondern sichern seit zehn Jahren die Grundfinanzierung

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 08.11.2001
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