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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 08.05.2006:

Und es geht doch!

Erfolgreiche interkulturelle Bildungsarbeit an Kitas und Schulen in sozial benachteiligten Quartieren in Berlin
Das Bild zum Artikel
Bildrechte: Leuchttürme der Pädagogik

Havva Engin

Wieder einmal beschäftigt die schlechte Bildungssituation von Migrantenkindern und damit verbunden die Frage nach verfehlter Integrationspolitik die deutsche Öffentlichkeit. Erneut wird der "schwarze Peter" den Migranten zugeschoben und die Politik versucht mit zweifelhaften Forderungen Handlungskompetenz zu beweisen.

In der Tat: Um die Bildungssituation und gesellschaftliche Integration von Migranten steht es nicht gut! Besonders dramatisch ist die Situation in den Kindergärten und Schulen sozial benachteiligter Quartiere, den so genannten "sozialen Brennpunkten". Immer wieder ist zu hören, dass diese angesichts unlösbarer Bildungsprobleme bereits resigniert aufgegeben bzw. sich ihrem Schicksal "Restschule" zu sein, ergeben haben.

Dass es ganz anders geht - d.h. möglich ist, Kinder aus sozial schwierigen Lebenslagen erfolgreich an Bildung heranzuführen, demonstrieren eine Reihe von Kindergärten und Grundschulen in Berlin, die wir im Jahr 2005 im Rahmen einer Studie im Auftrag des Berliner Migrations- und Integrationsbeauftragten untersucht haben.

So konnten wir in den besuchten Kindergärten und Grundschulen ein "Muster des Erfolges" feststellen, welches diese unabhängig und ohne Wissen voneinander zu unterschiedlichen Zeiten entwickelt haben.

An erster Stelle standen für diese Bildungsinstitutionen die Analyse der sozioökonomischen Rahmenbedingungen und die Beantwortung der Frage nach den familialen Bedingungen sowie nach den Herkunftskulturen und -sprachen, mit denen die Migrantenkinder in die Kindertagesstätte und in die Schule kommen.

In einem zweiten Schritt entwickelten sie ein passgenaues pädagogisches Konzept, wobei von der Grundhaltung ausgegangen wurde, dass Bildungseinrichtungen weder die sozioökonomischen Rahmenbedingungen vor Ort noch die Situation der (Migranten)Familien verändern können. Das bedeutete, den Kindern nicht mit einer "Defizithaltung" zu begegnen, also zu Beginn der pädagogischen Arbeit nicht die Frage zu formulieren, was die Kinder alles nicht können, sondern daran anzuknüpfen, was sie an Kultur und Sprache mitbringen, das positiv und produktiv einbezogen werden kann.

Damit das pädagogische Programm tatsächlich langfristig zum Erfolg führte und seine Nachhaltigkeit gesichert war, wurde es durch alle Erzieherinnen bzw. dem ganzen Kollegium als eine gemeinsame (Zukunfts-)Aufgabe von allen Beteiligten verstanden. In der praktischen Arbeit hieß dies, sich als Team für die vorgenommenen Aufgaben einen realistischen Zeitrahmen zu setzen, deren schrittweise Umsetzung gemeinsam überprüft wurde. Im Mittelpunkt der Arbeit stand nicht Konkurrenz, sondern Transparenz und kollegiale Kooperation. Von Anfang an wurde eine klare Aufgabenteilung nach Zuständigkeitsbereichen vorgenommen, Expertenteams gebildet, die Arbeit auf viele Schultern verteilt, um ein "burn-out" von Kollegen zu vermeiden. Die Kindergarten- bzw. Schulleitung verstand sich während des ganzen Prozesses als treibende Kraft, welche die einzelnen Schritte überwachte, ggf. korrigierte und nachjustierte.

Ein zentrales Moment aller untersuchten Kindergärten und Grundschulen bildete die Zusammenarbeit mit (Migranten)Eltern. Sie wurden als Erziehungspartner verstanden und somit als Mit-Experten für Bildungs- und Erziehungsfragen ihrer Kinder gewonnen. Die Institutionen stellten für Elterngespräche und Informationsveranstaltungen Übersetzer bzw. Integrationslotsen zur Verfügung, welche sie von Eltern- und Migrantenvereinen akquirierten. Dadurch wurde zur Bildung von Elternnetzwerken beigetragen, damit die Eltern sich auch untereinander informieren und beraten konnten.

Auffällig war des Weiteren bei allen von uns porträtierten Kindergärten und Grundschulen eine enge Verzahnung mit außerschulischen Institutionen und Partnern. Von Anbeginn wurden mögliche lokale Kooperationspartner wie Quartiersmanagement und  schulpsychologische Beratungsstelle kontaktiert und dadurch ein gut funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Unterstützung erfuhren diese durch weitere Kooperationen mit Hochschulen, Migranten- bzw. Sportvereinen sowie Ehrenamtlichen, Künstlern und anderen Interessierten. Die Kooperationspartner ermöglichten durch Sach- und Personalmittel die (langfristige) Durchführung und Absicherung der pädagogischen Konzepte. 

Zusammenfassend zeichnen sich die von uns untersuchten interkulturell erfolgreich arbeitenden Kindertagesstätten und Grundschulen in sozial benachteiligten Quartieren dadurch aus, dass sie

  • die kulturelle und sprachliche Pluralität ihrer Klientel als originäre Ressource verstehen, in die es lohnt zu investieren. D.h., Vielfalt wird als Stärke und Standortmerkmal verstanden,
  • Migranteneltern als Erziehungspartnerinnen und -partner ansehen und sie in die pädagogische Planung und Arbeit aktiv einbeziehen. Damit werden Eltern als Bildungsexpertinnen und -experten gewonnen und in die Erziehungspflicht genommen,
  • sich als Teil des Gemeinwesens begreifen und ein enges institutionelles Netwerk mit außerschulischen Akteuren aufbauen und so eine am Gemeinwesen orientierte Pädagogik verfolgen,
  • ein ambitioniertes und schlüssiges Konzept entwickelt haben, das sich an den Lebenslagen und Bedürfnissen der Migrantenkinder orientiert und von allen Akteuren (Kindergarten-/Schulleitung, Erzieherinnen, Lehrkräfte, Eltern) befürwortet und mitgetragen wird, was die Nachhaltigkeit sicherstellt,
  • Sprachfördermaßnahmen in das Schulprofil integriert haben und den Unterricht durch entsprechend qualifiziertes Personal durchführen lassen, wobei die Sprachförderung oberste Priorität genießt.

Die Ergebnisse dieser Bemühungen sprechen für sich: An den von uns untersuchten Grundschulen erhalten nahezu ein Viertel der Schülerinnen und Schüler eine Empfehlung für das Gymnasium - doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt.

Die untersuchten Institutionen beweisen mit ihrer Arbeit, dass Fördern und Fordern sich nicht widersprechen, sondern unabdingbar zusammengehören. Mit diesem Selbstverständnis gelingt es ihnen als "Leuchttürme der Pädagogik" in die sozialen Brennpunkte zu strahlen und zur Nachahmung aufzufordern.


Havva Engin, Sven Walter: Leuchttürme der Pädagogik.
Porträts erfolgreicher interkultureller Bildungsarbeit an Berliner Kindertagesstätten und Schulen in sozial benachteiligten Quartieren. Berlin 2005; ISBN: 3-938352-06-X

Dr. Havva Engin, geboren 1968, ist Juniorprofessorin für Sprachförderung am Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Vorher arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Technischen Universität Berlin, Fachgebiet Interkulturelle Pädagogik.
Sie absolvierte ein Studium für das Lehramt an Gymnasien, 1. und 2. Staatsexamen (1995 bzw. 1998), 1997 M.A. in Germanistik, 2003 Promotion.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 08.05.2006
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