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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 30.01.2006:

Angebot und Nachfrage

Zur Akzeptanz von Bachelor und Master

Der Bologna-Prozess ist auf dem Weg. Zwar sind seit der Konferenz in der namensgebenden norditalienischen Stadt von 1999 die weichenstellenden Entscheidungen längst gefallen. Dennoch wird über die Fortschritte bei der Schaffung des gemeinsamen Europäischen Hochschulraums leidenschaftlich gestritten - nicht nur in Deutschland. Um die wachsende Akzeptanz und erfolgreiche Umsetzung zu belegen, werden gerne die üblichen statistischen Verdächtigen verhaftet. Doch welche Aussagekraft besitzen die Statistiken und Quoten tatsächlich?

Zählte die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) für das Wintersemester 1999/2000, unmittelbar nach der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes und der Öffnung für die neuen Abschlüsse im Jahr 1998, nur insgesamt 183 Bachelor- und Master-Studiengänge an den deutschen Hochschulen, schnellte das Angebot bis zum  abgelaufenen Wintersemester 2005/2006 auf 3.797 Studiengänge empor. Dieser Wert entspricht knapp 40 Prozent aller Studienangebote an Universitäten und Fachhochschulen.
Die beieindruckenden 40 Prozent relativieren sich, wenn man die Anzahl der Studierenden hinzuzieht, die sich für einen Bachelor oder Master als Abschluss entschieden haben. Zwar vervielfachte sich die absolute Zahl der Studierenden vom Wintersemester 1999/2000 bis zum Wintersemester 2004/2005 um mehr als das Zwanzigfache von 6.702 auf 154.528 Studierende. Aber selbst damit beträgt der Anteil der angehenden BA- und MA-Absolventen nur knappe acht Prozent des gesamten akademischen Nachwuchses.

Angebot und Nachfrage
Die aufgeführten Kennziffern dürfen keineswegs als reine Erfolgsmeldungen in Sachen Akzeptanz und Umsetzung verstanden werden. Sicherlich, Bologna ist auf dem Weg. Doch sämtliche Studiengänge müssen bis 2010 auf die neuen Abschlüsse umgestellt werden, und so ist es eine logische Folge, dass die Zahl der Angebote und Studierenden anwächst - aber mitnichten eine Erfolgsbilanz. Wer es genauer wissen will, sollte jene Kernelemente des Bologna-Prozesses unter die Lupe nehmen, die nicht das Angebot steuern sondern die Nachfrage dokumentieren: Akzeptanz auf dem Arbeitsmarkt und Abbrecherquote.

Ausdrücklich zielt das zweistufige Studiensystem auch darauf ab, die Quote der Studienabbrecher zu senken. Wer zuvor mit leeren Händen nach einem Studienabbruch dastand, obgleich er - oder sie - vier, fünf Semester studiert hatte, sollte zukünftig mit dem Bachelor einen ersten akademischen Abschluss in Reichweite haben. Doch bei der Beantwortung der Frage, ob tatsächlich weniger Studierende abrechen, streiken die Statistiken erst recht. Die "Studienabbruchstudie 2005" der Hochschul-Informations-Systems GmbH (HIS) erfasst die Quote der Abbrecher nur bis 2002. Selbst in der demnächst anstehenden Aktualisierung der Studie, die bereits auf die Zahlen des Absolventenjahrgangs 2004 zurückgreifen kann, ist nach Aussage des Mitherausgebers Ulrich Heublein die statistische Basis für Aussagen zur Abbruchquote in den neuen Bachelorstudiengängen "sehr schmal".

Liegt die Wahrheit auf dem Platz?
Ein durch und durch nachfrageorientiertes Kernelement des Bologna-Prozesses liegt in der Betonung der "Employability", also der Berufsorientierung und letztlich Arbeitsmarktfähigkeit der neuen, europaweit einheitlichen Studienabschlüsse. Neben der höheren Transparenz des akademischen Leistungsnachweises durch das "Diploma Supplement" sowie der stärkeren Internationalisierung des Studiums ist es vor allem diese Zielausrichtung, die Unternehmer- und Arbeitgeberverbände zu klaren Befürwortern von Bachelor und Master macht.

Entsprechend entschlossen traten die deutschen Unternehmen und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Juni 2004 der anhaltenden Kritik an der vorgeblich geringen Wertigkeit des Bachelors entgegen. Mit der offenen Erklärung "Bachelor Welcome" stellten sie den Absolventen der neuen Studiengeneration eine explizite Einladung der Wirtschaft aus. Bemerkenswert auch, dass die Arbeitgeber in dem Text ihre Verantwortung für die "Nachfrageentscheidungen" anerkannten. Was ihnen auch erlaubte, "Abiturienten, Eltern, private und öffentliche Arbeitgeber" ausdrücklich als Kunden der neuen Studiengänge zu betrachten. Liegt die Wahrheit also auf dem Platz? Entscheidet letztlich der Arbeitsmarkt über Erfolg oder Scheitern des Bologna-Prozesses?

Forschung und Entwicklung; Uni oder FH
Wurde der Bachelor bislang immer als erster berufsqualifizierender akademischer Abschluss gehandelt, verschieben Wirtschaft und Stifterverband in ihrer Willkommensrede die Nuancen: "Der Bachelor wird sich [...] als berufsbefähigender Regelabschluss etablieren". Und erste Befragungen der Wirtschaft deuten an, dass dieser Vorsatz von den Personalabteilungen auch verwirklicht wird. Für die ersten Bachelor-Absolventen der Jahre 2002 und 2003 berichtet das HIS, dass "drei Viertel der FH- und ein Drittel der Uni-Bachelor nach dem Studium direkt ins Berufsleben wechselten". Und eine, allerdings nicht repräsentative, Untersuchung des Instituts der Wirtschaft (IW) aus Köln stellt fest: "Von den befragten Unternehmen beschäftigen 11,5 Prozent bereits Bachelor- und 9,7 Prozent Masterabsolventen deutscher Hochschulen." Auch die Unternehmen, die bislang noch keine Bachelor- oder Master-Mitarbeiter beschäftigen, äußern sich überwiegend positiv. "76,8 Prozent bejahen die Frage, ob sie Bachelorabsolventen deutscher Hochschulen akzeptieren. Beim Master sind es mit 73,7 Prozent fast ebenso viele."

Eine vertiefende Befragung von Personalleitern aus der Wirtschaft, die das IW für den Stifterverband Anfang 2005 durchführte, differenziert nicht nach Universitäts- und Fachhochschulabsolventen, was angesichts der Diskrepanz, die das HIS bei den Jahrgängen 2002 und 2003 festgestellt hat, interessant gewesen wäre. Damals wechselten immerhin zwei Drittel der FH-Bachelor direkt ins Berufsleben, hingegen war es bei den Bachelorabsolventen der Universität lediglich ein Drittel. Dies kann Christiane Konegen-Grenier nicht bestätigen, die seitens des IW die jüngste Personalleiter-Befragung koordinierte. Für sie steht fest, "dass zwei Drittel der Unternehmen keinen Unterschied zwischen Universitäts- und Fachhochschulabsolventen machen". Eine Ausnahme seien jedoch die Bereiche Forschung und Entwicklung, wo Universitätsabgänger noch Vorteile hätten.

In dieser Hinsicht schließt die Studie denn auch versöhnlich und sieht in dem zweistufigen Studienangebot die große Chance, den Akademikerbedarf der privaten Wirtschaft besser zu bedienen als die alten Studienabschlüsse. "Es deutet sich an, dass der Akademikerbedarf der privaten Wirtschaft weitaus differenzierter ist als das bisherige Ausbildungsangebot an praxisorientierter Fachhochschulausbildung einerseits und wissenschaftsorientierter Universitätsausbildung andererseits." Auf einen anderen Indikator des Bologna-Prozesses machen die "Positionen" des Stifterverbands mit mahnendem Unterton aufmerksam. Die Akkreditierung der neuen Studiengänge und ihre regelmäßige Evaluierung gilt der ISO- und zertifizierungserfahrenen Wirtschaft als unverzichtbare Maßnahme der Qualitätssicherung. Doch da liegen die Zahlen noch im Argen.

Nachhinkende Akkreditierung
Für das Sommersemester 2005 weist die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) insgesamt 2.934 Bachelor- und Masterstudiengänge an deutschen Universitäten und Fachhochschulen aus. Mit Stand März 2005 lässt sich jedoch beim Akkreditierungsrat nachlesen, dass erst 808 der neuen Studiengänge akkreditiert wurden. Die Quote von rund 27 Prozent ist mit Vorsicht zu genießen. Achim Hopbach, Geschäftsführer des Akkreditierungsrates, verweist auf die Verzerrung, die dadurch entstanden sei, dass ab 1998 Fachhochschulen und Universitäten "befristet" zugelassen wurden. Damit verbunden war die Auflage, die Akkreditierung nachzuholen, was jedoch so manche Hochschule noch nicht getan habe. Für die Zukunft zeigt sich Hopbach optimistisch. "In der zweiten Hälfte des Jahres 2005 hat es einen deutlichen Schub gegeben", so der oberste Akkrediteur der Republik. Die Taktzahl der einzelnen Akkreditierungsagenturen hat zugenommen, und so traut Hopbach den Kollegen in den Agenturen zukünftig "über 500 akkreditierte Studiengänge pro Jahr" zu. Die Kapazitäten der Akkreditierungsagenturen sind auch deshalb gewachsen, weil mittlerweile so genannte "Cluster-Akkreditierungen" vorgenommen werden, bei denen mehrere Studienangebote einer Hochschule parallel bearbeitet werden.

Dennoch bleibt abzuwarten, ob das Tempo der Umstellung auf die neuen Abschlüsse und der Akkreditierung der Studiengänge synchronisiert und gesteigert werden kann. Der Bologna-Prozess hat bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt - die Uhr tickt. Aufmerksam zu beobachten gilt es auch, wie sich die Kennzahlen entwickeln, mit denen der Umsetzungsprozess bilanziert wird. Zumal noch ganze Disziplinen wie Architektur, Medizin oder Jura weiterhin mit Grundsatzdebatten beschäftigt sind. Deshalb lohnt auch ein zweiter, genauerer Blick, und die Erinnerung an Winston Churchills Ratschlag: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast."

Autor(in): Michael Stolzke
Kontakt zur Redaktion
Datum: 30.01.2006
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