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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 29.12.2005:

"Belastungen gibt es jeden Tag"

Lehrerbildungszentrum - Reformmotor für aktive Schulen.
Das Bild zum Artikel
Hilfe zur Selbsthilfe: Lehrerinnen und Lehrer erkundigen sich über die Angebote
Quelle: LBZ München

Ein Hauptschüler hat sich mit einem Grundschüler nebenan geprügelt. Der Schüler der fünften Klasse der Hauptschule an der Ridlerstraße 26 in München wird aus der Klasse geholt. Der Klassenlehrer unterbricht den Unterricht. Aufwändige Telefonate gehen hin und her. Polizei erscheint. Den Hergang des Konflikts zu klären, erfordert nun viel Konzentration und viel Kraft. Wie ein Dominostein eine ganze Reihe anderer zu Fall bringt, so hat der Vorfall nun Auswirkungen auf die Stimmung der Kinder und ist Gesprächsstoff im Lehrerzimmer - viele Steine des Dominosystems Schule geraten jetzt in Bewegung.

"Belastungen gibt es jeden Tag", sagt Schulleiterin Gisa Zastrau. "Die Probleme lösen sich nicht von allein. Zumindest eine Teillösung des Vorfalls müsse schnell herbeigeführt werden. In der Lehrerausbildung sei sie nicht darauf vorbereitet worden, mit solchen Vorfällen konstruktiv umzugehen. Ein bisschen Entwicklungspsychologie im Studium hier und ein paar versprengte Übungen in Didaktik dort reichten nicht hin, um den Herausforderungen der Schule gerecht zu werden, die strukturell mit hohen Belastungen zu kämpfen habe. Der bevorstehende Lehrermangel werde die Situation an vielen Schulen nicht entspannen. 

"Das Kollegium erkannte, dass die Arbeit im Klassenraum immer schwieriger wurde. Dies hatte mit der veränderten häuslichen Situation der Schüler, dem Verhalten von  Familien mit Migrationshintergrund Familien und der Schülerauswahl nach der Schulreform zu tun", so der Vertreter einer Hauptschule. Rund 300 Schülerinnen und Schüler besuchen die Hauptschule in der Ridlerstraße und rund 80 Prozent davon kommen aus Familien mit Migrationshintergrund. Erschwert wird der Schulalltag auch dadurch, dass die Betreuungszeit, die in der Phase des Übergangs von der Schule zum Beruf in Jugendliche investiert werden muss, aufgrund der schlechten Ausbildungsplatzsituation kontinuierlich ansteigt.

 "Im Studium hatten wir keinerlei Vorbereitung, wie man mit Konflikten im Schulalltag und schwierigen Schülern umgeht", sagt Zastrau. Diese Feststellung kann man von vielen Lehrkräften im ganzen Bundesgebiet hören. Die Fähigkeit, konkrete Probleme im Schulalltag zu lösen, hängt so am seidenen Faden der Motivation. Der reißt natürlich umso leichter, je älter die Lehrkräfte werden. Nur ca. zehn Prozent aller Lehrenden hält bis zur Rente durch. 

In Bayern werden die Lehrkräfte für bestimmte Schularten (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) ausgebildet: Ausgebildete Hauptschullehrer können dort grundsätzlich nur an Hauptschulen unterrichten. In anderen Ländern richtet sich die Lehrerbildung z.T. nach anderen Kriterien, z.B. dem Alter der Schüler. Es gibt Lehrkräfte für die Primarstufe und die Sekundarstufen eins und zwei.

Wie Schulen sich wie Baron Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen
Die Belasteung von Schulen spielen auch beim PISA-Ländervergleich des Jahres 2003 eine große Rolle. Zum ersten Mal nahm das PISA-Konsortium eine Typisierung von Schulen vor, in solche, die "belastet" und andere, die "unbelastet" sind. Die Feststellung der Belastung von Schulen gründet auf den Einschätzungen der Schulleitungen. Die subjektiven Einschätzungen werden allerdings durch objektivierte Angaben zu den institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Schulen im Zuge der PISA-Erhebungen untermauert:

 "Die wahrgenommenen Belastungen beziehen sich vornehmlich auf mangelnde materielle und personelle Ressourcen, auf Probleme mit der Arbeitshaltung und dem Verhalten der Schülerschaft sowie der Lehrerschaft und das Fehlen gemeinsamer Ziele im Lehrerkollegium."

 Fast 60 Prozent der Schulleitungen berichteten im Zuge der PISA-Erhebung 2003 von "erheblichen" Problemen. Von diesen "belasteten Schulen" machen sich mehr als die Hälfte (32 Prozent) an die Lösung der Alltagsprobleme. Dies sind die "aktiven Schulen". Beim PISA-Ländervergleich identifzieren die Experten vier Schultypen, nicht zu verwechseln mit Schulformen.

Jede dritte Schule in Bayern (31 Prozent) stemmt sich so gegen die Widrigkeiten des Alltags, während jede Fünfte (21 Prozent) den Kopf in den Sand steckt: sich also zugleich als belastet und passiv erweist.

Die meisten Schulen, die sich nach der Art des Baron von Münchhausen aus dem Sumpf ziehen, vermeldet Thüringen, wo 54 Prozent der Schulen mit Belastungen aktiv mit den Herausforderungen umgehen und nur 8 Prozent bei Belastungen den "Kopf in den Sand" stecken. "Auffällig sind die weit über dem Durchschnitt (47 Prozent) liegenden Anteile aktiver Schulen in den östlichen Ländern", so die zweite PISA-E-Studie.

Wenn "Notrufe" von Lehrkräften oder Schülern laut werden, wenn es also brennt, wie bei der Hauptschule in München, gehen die Lehrer heute auf die Suche nach Kooperationspartnern im Viertel. Frischen Wind bringen auch die an die Schule hinzu gekommenen jungen Lehrerinnen und Lehrer: sie wollen noch etwas "bewegen".

Zum "Klassenzimmer" werden Jugendhilfeeinrichtungen wie die IG-Feuerwache. IG InitiativGruppe - Interkulturelle Bildung und Begegnung e. V. Beim Übergang von der Schule zum Beruf bringt die Schule auch die Eltern ins Spiel. Diese werden auch bei der Berufsorientierung ihrer Kinder mit einbezogen. Kurse zur Berufswahl stehen genauso auf dem Programm wie interkulturelles Training, Computer- und Sprachkurse. Um die Jugendlichen zu motivieren, bringt die Hauptschule eine Menge pädagogischer Phantasie auf. Der erhoffte Lohn der Mühen: Alle Schulabgänger sollen in eine Berufsausbildung, weiterführende Schulen oder in spezifische Maßnahmen vermittelt worden sein.

Wer kümmert sich um die Prävention, um das ausbrennen von Lehrkräften zu verhindern?
Nicht alle Schulen vernetzen sich von selbst. Auch Hochschulen tragen nun nach dem PISA-Schock ihr Scherflein zur Vernetzung der Schulen untereinander bei. Und auch zur Vernetzung der Fakultäten innerhalb der Hochschulen. Ein zentrales Werkzeug der Vernetzung von Schulen, aber auch zur Stärkung des Praxisanteils im Zuge des Lehramtsstudiums sind die Lehrerbildungszentren. Allein in Bayern gibt ca. ein Dutzend Lehrerbildungszentren. Doch sollte man vom Lehramtsstudium keine Wunder erwarten. (wieso vom Studium, ich denke es geht um die Lehrerbildungszentren - sollte man also von denen kein Wunder erwarten?)

Das Lehrerbildungszentrum in München betreut rund 6.000 Studierende, das sind rund 15 Prozent aller Studierenden. Nicht nur in der Ausbildung werden wichtige Grundlagen gelegt, sich im Alltag zu behaupten, sondern auch die Fortbildung spielt eine wichtige Rolle. So weist der renommierte Erziehungswissenschaftler Ewald Terhard am Gründungstag des LBZ in München, am 18. Januar 2005, auf die Notwendigkeit auch für Lehrkräfte hin, sich kontinuierlich weiterzubilden: "Die Forschung hat eindringlich gezeigt, dass die Erstausbildung - und sei sie auch so intensiv, lang andauernd und anspruchsvoll wie in Deutschland - nicht ausreichend ist, um den langwierigen Prozess des Aufbaus beruflicher Kompetenzen zustande zu bringen und auf diese Weise vorbereitend ein gewissermaßen lebenslang tragfähiges Gerüst an Kenntnissen und Fähigkeiten zu vermitteln."

Die Bereitschaft von Lehrkräften sich weiterzubilden, ist eine Voraussetzung, um mit Belastungen im Schultag produktiver umzugehen. Das LBZ entwickelt nun Konzepte für Prävention gegen Überlastung und burn-out bei Lehrkräften. Die Fähigkeit, Probleme zu lösen, muss heutzutage ähnlich Ernst genommen werden wie etwa das Unterrichten. Nicht wenige Lehrkräfte schlüpfen aufgrund der Problemlagen ihrer Schülerinnen und Schüler zumindest zeitweise in die Rolle von Sozialarbeitern. Daher wäre es sinnvoll, wenn sie auch mit der Herangehensweise von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen vertraut wären. Dazu gehört, dass die Lehrenden auch Unterstützung von außen in Anspruch nehmen, mit Zeitmanagement und Unterrichtsorganisation vertraut sind und innovative pädagogische Ansätzen wie beispielsweise das Classroommanagement kennen und anwenden können. Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) fordert die KMK und die Universitäten auf, die dritte Phase der Lehrerbildung, das "Lernen im Beruf" und die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung, viel stärker als bisher zu betonen.

Unter gewissen Voraussetzungen klappt das also in den LBZ mit dem Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Zentrums in München ist die Kooperation innerhalb der Universität und mit Partnern außerhalb. Dabei gibt das LBZ Anregungen, die Schulen untereinander und mit der Universität in Hinblick auf bestimmte Themen zu vernetzen (z.B. Lesekompetenz, Schulprogrammarbeit, Schülerfeedback und Schülerfirmen). So kommen vier Lernnetzwerke zu Stande.

Mittler zwischen Forschung und Praxis
Ein Lernnetzwerk widmet sich der "Schulprogrammarbeit und Personalentwicklung". Ein Ziel dieser Kooperation ist es, mit den beteiligten Schulen in reflexiven Prozessen ein Leitbild und ein Schulprogramm für ihre Schule zu erarbeiten. Die Universität gibt den Rahmen des Austausches vor. Die Kerngruppen, in denen stets auch Schulleiter vertreten sind, organisieren die Meetings und holen sich Rat von anderen Schulen im Netzwerk. Die Weiterbildungen, die innerhalb des Lernnetzwerkes angeboten werden, gleichen die weißen Flecken auf der Landkarte der bestehenden Lehrerausbildung aus: Projektmanagement, Methoden zur Teamentwicklung im Kollegium und Maßnahmen zur Stärkung der Führungskräfte an den Schulen.

Als Scharnierstellen zwischen Hochschulen und Schulen, zwischen Fachwissenschaften und Fachdidaktik sind die Lehrerbildungszentren nützlich und notwendig: Um den Dialog zwischen Forschung und Praxis anzuregen; den Paradigmenwechsel von einer Steuerung über den Input auf eine Steuerung über den Output vorzubereiten; die Selbstständigkeit der Schulen zu professionalisieren; Unterstützung für die Pädagogik an den aufstrebende Ganztagsschulen zu geben; Handreichungen für individuelle Förderung und Diagnostik zu vermitteln und vieles mehr.

Fazit:
Die Einrichtung von Lehrerbildungszentren krankt allerdings etwas daran, dass der hohen Anzahl an Lehramtsanwärtern nur eine verschwindend geringe Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Verfügung steht. Die Dienstleistung stottert also, weil es nicht genügend Dienstleister an Lehrerbildungszentren gibt. Das Geld an Hochschulen fließt oft eher in wissenschaftliche Paradeprojekte, aber noch nicht ausreichend in die Dienstleistungsagentur "Lehrerschmiede". Auch Richard Sigel, dem Leiter des Lehrerbildungszentrums der LMU, gehen die vom LBZ vorgenommenen Reformen noch zu langsam voran: "Wir haben überhaupt noch nicht richtig Gas gegeben", sagt er. Und personell sei das Lehrerbildungszentrum in München auch nicht gut aufgestellt.

Längst nicht alle Studierenden, die auf das Lehramt hinarbeiten, sind darüber im Bilde, wozu die Lehrerbildungszentren da sind und was sie überhaupt anbieten. Hinzu kommt, dass die Lehrerbildungszentren mit der Anerkennung durch die akademischen Platzhirsche in den verschiedenen Fakultäten noch zu kämpfen haben. Die "problemorientierte Lehrerbildung", wie sie der Vorsitzende Ludwig Eckinger des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) für Deutschland fordert, steckt offenbar noch in den Kinderschuhen. Problem erkannt - Problem aber nicht gebannt.

 

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 29.12.2005
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