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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 09.08.2004:

Sommerfrische, Teil 5

Kurzinterviews zu Bildungsbiografien

Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Eriehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg
Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Eriehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg
Prof. Dr. Ingrid Gogolin, Eriehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg

Bildung PLUS: Welche Menschen und welche Ereignisse haben Ihre Bildungsbiografie nachhaltig beeinflusst?

Gogolin: Nachhaltigen Einfluss auf meine Bildungsbiographie hatten Menschen - meine Eltern, Lehrer(innen), Hochschullehrer(innen), Freundinnen und Freunde -, die an meine "Talente" geglaubt und mir viel zugetraut haben. Wichtig war es für mich, dass das Zutrauen auch über Fehlschläge hinweg trug: über die erste 5 in einer Klassenarbeit; über die diversen Revisionen der Entscheidungen über meinen Bildungs- und Berufsweg, die ich vorgenommen habe; über die Durststrecken, die manchmal zwischen Qualifikation und der Belohnung dafür (ein Ausbildungsplatz, ein Studienplatz, eine Stelle, eine Professur...) gelegen haben. Und das zweite gemeinsame Merkmal derer, die mich nachhaltig beeinflusst haben, ist, dass sie begeistert waren. Sie waren von ihrer Sache überzeugt; sie haben mich mitgenommen in ihre Freude an einem Thema oder Problem und in ihr Engagement dafür.

Meine Schulzeit fiel zur Hauptsache in die gesellschaftliche und politische Aufbruchzeit der 1960er Jahre. Mein Abitur habe ich 1968 abgelegt - in einem historischen Moment, in dem der Glaube daran, dass Chancengleichheit in einer Gesellschaft möglich sei und dass man mit gesellschaftlichem Engagement etwas bewegen könne, sehr ausgeprägt war. Die Aktivitäten der "Großen" aus der Sicht der kleinen Schülerin - der Studierenden, die das Leben schon in die eigene Hand nahmen - haben mich seinerzeit tief beeindruckt. Grundüberzeugungen wie die, dass es im demokratischen Prozess nicht darauf ankommt, wer ein Argument vorbringt, sondern darauf, was ein Argument für sich hat, begleiten mich seither, und sie tragen meine Hoffnung auch über die (zahlreicher werdenden) Augenblicke hinweg, in denen ich etwas anderes erlebe...

Bildung PLUS: Welche Erinnerungen und Erfahrungen an Ihre Schulzelt wünschen Sie auch heutigen Schülerinnen und Schülern und welche sollten den Kindern dagegen erspart bleiben?

Gogolin: Eine sehr nachhaltig positive Erfahrung für mich war, dass ich meine Schulkarriere noch vor Numerus-Clausus-Zeiten absolvieren konnte. Eine detaillierte Kalkulation späterer Karriereoptionen, verbunden mit dem alltäglichen Kampf um so viele gute Noten wie möglich, war für mich und meine Schülergeneration noch nicht nötig. Gewiss - die Schule selbst war kein Zuckerschlecken; nicht sitzen bleiben, das Abitur machen waren durchaus schon Anspruch genug, um nicht allzu sehr über die Stränge zu schlagen (insbesondere in den atemlosen Wochen vor den Zeugnissen). Insgesamt aber konnte ich als mittelgute Schülern relativ entspannt "durchschwimmen" - hier einmal etwas investierend in eine Ausgleichsnote und dort einmal noch etwas nacharbeitend, um wieder Anschluss zu bekommen. Keinen Gedanken musste ich daran verschwenden, dass mir ein Notendurchschnitt versagen könnte, den Beruf zu ergreifen oder das Fach zu studieren, nach dem mir der Sinn stand!

Diese Chance auf eine Schulzeit, die man als relativ entspannt in Erinnerung behalten kann, würde ich heutigen Schülerinnen und Schülern von Herzen wünschen. Allerdings ist meine eigene Erinnerung mit einem Tröpfchen Wermut zu genießen. Ich hatte nämlich das Glück, dass ich es geschafft habe, nach der vierten Klasse der Volksschule (der heutigen Grundschule) zu entrinnen - also nicht aussortiert zu werden in den niedersten Bildungsgang. Die Erfahrung, dass der eigentliche Zweck der Schule das Sortieren von Kindern ist - und zwar, wie man nicht erst seit PISA oder IGLU weiß, nach ihrer Herkunft und keineswegs nach ihrer Leistung -, diese Erfahrung würde ich heutigen und künftigen Schülerinnen und Schülern gern ersparen. Das aber ist nicht als ein Traum; ihn Realität werden zu lassen, würde nämlich bedeuten, dass man die heilige Kuh des gegliederten Schulsystems in Deutschland schlachtet - vor allem: dass man den frühen Zeitpunkt des Sortierens von Kindern aufgibt. Oder anders gesagt: es würde bedeuten, ein Schulsystem in Deutschland einzuführen, in dem man an Kinder und ihre Leistungsfähigkeit glaubt, ihnen Zutrauen entgegenbringt, sie zugleich herausfordert und in ihren eigenen Bildungsanstrengungen gewähren lässt. Und es versteht sich von selbst, dass ein solches System nur dann erfolgreich sein kann, wenn in ihm guter Unterricht gemacht wird.

Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge bleibt mir nur, allen Schülerinnen und Schülern das Glück zu wünschen, dass sie Menschen begegnen, wie sie mir in meiner Schulzeit begegnet sind.

Autor(in): Ursula Münch
Kontakt zur Redaktion
Datum: 09.08.2004
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