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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 03.06.2004:

School meets science

Auftaktveranstaltung "Physik im Kontext" in Berlin
Das Bild zum Artikel
Die Theatergruppe der Nell-Breuning-Schule in Rödermark nach der Vorstellung
Bildrechte: Bildung PLUS

"Unsere Milchstraße wird eines Tages vom Andromeda-Nebel verschluckt", sagt Günther Hasinger, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Schon mit bloßem Auge ist bei klarem Nachthimmel ein scheinbar harmloser milchiger Fleck zu erkennen, eine Galaxie - der Andromeda-Nebel. Mit dem Teleskop betrachtet, sieht diese ästhetische Galaxie wie ein Strudel aus mit einem weißglühenden Feuerball in seiner Mitte. Spiralförmige Arme mit Staub führen vom Zentrum weg.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass Schüler dem Vortrag eines Astrophysikers in der Uni lauschen, der spannend wie ein Kriminalroman ist.

Doch hier sitzen sie in der ersten Reihe: die Schülerinnen und Schüler des Physikleistungskurses der Oswald-von-Nell-Breuning-Schule in Rödermark. Auffallend viele Mädchen sind dabei. Fasziniert hören sie dem Vortrag von Hasinger zu. Bei der Auftaktveranstaltung zu "Physik im Kontext" (piko) in Berlin, am 18. Mai geht es um die Zukunft junger Menschen und darum, sie für ein Fach aufzuschließen, das zur Zeit noch wenige vom Hocker reißt.

Mit Vorträgen über außerirdische (extraterrestrische) Physik und kreative physikalische Experimente werden die Zuhörer auf die spannenden Seiten der Physik eingestimmt.

Während alle anderen Galaxien sich von der Erde entfernen, kommt die Andromeda-Galaxie jedoch unserem Sonnensystem immer näher. Der kosmologische Fahrplan ist möglicherweise auf eine Kollision des Andromeda-Nebels mit der Erde und ihrem Sonnensystem programmiert, wie ein Zug, der einem anderem nicht ausweichen kann, weil er ihm auf demselben Gleis entgegenkommt. In rund vier Milliarden Jahren wird er die Erde erreichen. Tote gibt es im Universum nicht zu sehen, aber jede Menge fressender und sterbender Sterne - "Schicksal des Universums", so heißt auch der Vortrag des Astrophysikers.  

"Hands-on, minds-on"

Wenn es nach piko geht, könnten anregende Begegnungen von Schülerinnen und Schülern mit Wissenschaftlern wie dem Astrophysiker aus Garching bald zur Regel werden. Hierzu muss sich die Schule für die moderne Forschung öffnen. Fragestellungen aus dem Alltag, Technik und Gesellschaft kommen bei Jugendlichen besser an als systematisch dargebotenes Lehrbuchwissen. Zumindest als Einstieg in die Physik bieten sich Physikprojekte aus der Lebenswelt an. Dazu will das Schulentwicklungsprogramm "Themen moderner Physik und Technologien in den Unterricht integrieren".

Ein Lichtblick sind Schülerlabore, wie das DLR-School-Lab. Dort führen Jugendliche gemeinsam mit Wissenschaftlern und Studenten Experimente mit Infrarotlicht durch, arbeiten mit Solarzellen, entwerfen zusammen mit anderen Jugendlichen dreidimensionale Stereobilder oder simulieren Verkehrsströme am Computer. Zwölf Schülerlabore waren auf der Auftaktveranstaltung zu sehen, vom "Gläsernen Labor" bis zum "UniLab". "Bereits ein Besuch im Schülerlabor wirkt sich positiv und nachhaltig aus", sagt Manfred Euler, Direktor am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel (IPN). Junge Menschen sollten im Physikunterricht nicht auf Distanz gehalten werden wie Museumsbesucher vor Bildern. Sie sollen in Experimenten selbst tätig werden, und selbstständig denken lernen - "hands-on", "minds-on". 

"Physikalische Community"
Piko wird vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel (IPN) geleitet. Das mit 1,3 Mio Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt hat zum Ziel, die Aufgeschlossenheit von Kindern und Jugendlichen für Physik und Technik zu steigern und zwar möglichst früh. Am besten schon in den Grundschulen. Sechs Doktorarbeiten befassen sich mit dem Modellversuch. Das Fach "Physik" solle nicht das gleiche Schicksal ereilen wie dem Lateinunterricht, meint Hans-Konrad Koch, Bundesministerium für Bildung und Forschung, - unbeliebtes Fach zu werden gepaart mit toter Sprache .   

Eine Gesellschaft, deren Zukunft in den Köpfen der jungen Menschen und nicht in Rohstoffen liege, könne sich das nicht leisten. Naturwissenschaftler und ihr Wissen werden gebraucht. Es kommt entscheidend darauf an, dass die Anregungen von piko nach der Versuchsphase in die Breite wirken und den normalen Physikunterricht verändern. Der Knackpunkt: Die Lehrer verschiedener Fächer müssten miteinander ins Gespräch kommen, sie müssten wirklich kommunizieren. "Die Fachdidaktiker sollen mit den Lehrern eine physikalische Community bilden", ergänzt Wolfgang Welz, Bezirksregierung Köln. 

"Findet Nano" oder Physik im Theater
Das kann funktionieren, dies zeigt das Schülertheater der Nell-Breuning Schule im hessischen Rödermark. Im Rahmen des Profils Naturphilosophie, in dem der Leistungskurs Physik im Verbund mit den Grundkursen Englisch und Ethik einen interdisziplinären Austausch fördert, hat die Gruppe das Stück "Findet Nano" und damit die Chancen und Risiken der modernen Physik inszeniert. "Findet Nano" wurde vollständig in Englisch vorgeführt. Die Theatergruppe kooperiert mit Professor Wisner von der Universität München. Lehrer, Naturwissenschaftler und Schüler erschließen sich spielerisch die Nanotechnologie gemeinsam.  

Eine Schulklasse ersteigert den tiefgefrorenen Einstein. Dieser hatte sich einfrieren lassen, um in einer friedlicheren Welt wiederaufzutauen. Sein Tod 1955 war nur fingiert. Nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki hatte Einstein den Glauben an ein friedlichere Zusammenleben der Menschen verloren. Zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Leben erweckt, brennt er darauf, die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften kennen zu lernen. Die revolutionärste Errungenschaft ist die Nanotechnologie. Mit Hilfe dieser Technologie kann im unendlich  Kleinen geforscht werden. Voraussetzung ist das Raster-Tunnel-Mikroskop: Da ein Nanometer einem Milliardstel Meter entspricht, kann man mit einem normalen Mikroskop nicht in die Nanowelt vorstoßen.  

Nanozeitalter
Das Schülertheater lässt Einstein, gespielt von Stefan Wiedemann, mit einer Zeitmaschine in das Jahr 10 einer neuen Zeitrechnung reisen, um zu erfahren, wie sich die neue Nanophysik in der Zukunft entwickelt. Zu dieser Zeit lenkt eine Weltregierung die Geschicke der Menschheit und eine Clique von Technokraten, die sich ausschließlich für die Gegenwart und Zukunft interessiert, manipuliert den Aufbau der Materie mit Nanocomputern und Nanobiotechnologie. Die Vergangenheit wird vollständig ausgeblendet. 

In dieser Zeit sind die Zivilisationskrankheiten Krebs und AIDS besiegt. Die Menschen erreichen meist das biblische Alter von hundert Jahren. Neue, künstliche Lebensformen, die auf der Nanotechnologie basieren, erlauben künstliche Lebensformen herzustellen, auf der Grundlage kleinster sich selbst organisierender Teilchen. Doch dann ereignet sich der Supergau: Schwärme vernetzter intelligenter "Nanoagenten" konkurrieren mit der Biomasse, greifen Moleküle an und machen sich selbstständig. Die Situation entgleist, wie eine Seuche breiten sich die Nanos aus, die am Ende alles natürliche Leben bedrohen. 

Geschockt kehrt Einstein mit der Zeitmaschine in die Gegenwart zurück. Er weiß nun, dass entfesselter Fortschritt in den Naturwissenschaften die Welt nicht friedlicher macht. 

"Wäre Physik so schwierig - die Jungen würden sie auch nicht können."
Stefan Wiedemann braucht man nicht mehr zu sagen, dass Physik interessant sein kann. Auch mathematische Formeln schrecken ihn nicht ab: "Für mich ist die Physik sehr spannend, vor allem die Suche nach der Weltformel." Einstein ist für ihn ein Vorbild, weil er "Rückgrat" hatte und ethische Fragestellungen beim Forschen nicht ausgeblendet hat. Naturwissenschaft und Verantwortung für den technologischen Fortschritt sind für Wiedemann nicht zu trennen.  

"Wer nur Physik kann, kann auch die nicht", sagt Dietmar Herdt, Mathematik- und Physiklehrer, der die Theatergruppe leitet. Viele Physiker haben nach Herdt keine Zeit mehr für ethische Fragen in Naturwissenschaften und Technik. "Wir haben den Luxus, dass wir innerhalb der Oberstufe diese ethische Fragen noch thematisieren können, sagt der Pädagoge ironisch. Angehende Physiker und Ingenieure sollten sich in kritischen Situationen die Frage stellen: "Darf ich das, was ich tun muss?".

Im Physikleistungskurs der Nell-Breuning-Schule sind drei von sieben Schülern Mädchen. Herdt hat sie gezielt mit den Worten angeworben: "Wenn Physik so schwierig wäre, würden sie die Jungen auch nicht können." Nina, Lorella und Talima sind dem Ruf des Lehrers gefolgt. Im Theaterstück waren sie noch Nano- und Biotechnologinnen, nun sagen sie, was sie an der Physik anzieht. Lorella: "Ich mag logische Gedankengänge. Sprache dagegen ist ungenau." Talima findet Physik "spannend" und Nina meint, dass Mädchen bei Physik "nicht im Nachteil" sind. 

Eins steht fest: Die Physikschüler der Nell-Breuning-Schule werden in ihrem Physikunterricht nicht von Langeweile aufgefressen.

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 03.06.2004
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