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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 12.05.2003:

Variation Brandenburg

Neues Modellvorhaben für selbstständigere Schulen in Brandenburg

Schulreform à la Brandenburg
Der Reformmotor brummt im Jahr 2003, zumindest was die Reform der Schulen betrifft: Allein fünf Länder machen mit neuen Modellversuchen auf sich aufmerksam. Selbstständige Schulen gibt es demnächst in Rheinland-Pfalz, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und auch Brandenburg: Die Liste der Modellversuche mit selbstständigen Schulen in den Ländern wird immer länger, in immer kürzerer Zeit. Mit Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wagen zum ersten Mal zwei neue Bundesländer den Gang in die erweiterte Selbstständigkeit.

Die Zielformel des brandenburgischen Modellversuchs "Stärkung der Selbstständigkeit von Schulen" lautet ähnlich wie die von Nordrhein-Westfalen: "die Qualität der schulischen Arbeit soll verbessert werden". Darüber hinaus soll die "Attraktivität der Schule als Lern- und Lebensort für die Schülerinnen und Schüler und die Einbindung in das Gemeinwesen gesteigert werden". Der Schulversuch beginnt im Schuljahr 2003/2004 und endet nach vier Jahren, also 2007. Die Modellschulen sind aufgefordert, in Netzwerken mit so genannten "außerschulischen Partnern" - wie Berufsverbänden, Unternehmen und Vereinen zu handeln. Es gilt, die Selbstständigkeit in vier Feldern zu erproben:

1. Personalrechtliche Befugnisse
2. Personalmittel und Sachmittel
3. wirtschaftliche Tätigkeit und Drittmittel
4. Schulverfassung

Der Schulversuch in Brandenburg wurde nicht im luftleeren Raum erdacht. NRW hat den Blick auf angelsächsische Länder gerichtet, z.B. auf Kanada, um Anregungen für den Schulversuch zu bekommen. Brandenburg taxierte hingegen mehr den Westen Deutschlands: Schleswig-Holstein, Niedersachsen, NRW und Hessen. Mit Berlin unterhält Brandenburg eine Kooperation in Sachen Modellvorhaben. Hier arbeiten die Brandenburger in Arbeitsgruppen an konkreten Detailproblemen mit.

Den Kreis der Schulen hat das Ministerium absichtlich klein gehalten, weil das Land nicht so viel Mittel habe wie etwa Nordrhein-Westfalen. Klaus Hanßen Referatsleiter im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport: "Wir wollen hier klein anfangen." Doch wenn das Projekt in Fahrt komme, dann könne es in ein oder zwei Jahren erweitert werden. Die Nachfrage nach der Teilnahme an der Schulreform ist da: Offiziell hat es über 20 Bewerbungen gegeben und die Zahl der Interessenten ist noch viel höher. Doch die Schulen, die in der ersten Projektphase draußen bleiben müssen, können sich Hoffnung machen, später aufzuspringen.

"Wir wollen große Systeme im Schulversuch haben, Schulen mit einer eigenen Verwaltungskraft", sagt Hanßen. Als "große Systeme" in Brandenburg gelten Schulen der Sekundarstufe I und II, die vierzügig sind, Berufsschulen, Gymnasien und Berufsschulen. Schulen mit ca. 700 bis 800 Schülerinnen und Schülern.

Voraussetzung ist allerdings, dass die Schulen ihren Reformwillen deutlich zeigen. So konnte eine Realschule mit ca. 350 Schülerinnen und Schülern ausnahmsweise doch den Reformbus mit den 12 Schulen besteigen, weil die Schule schon im Modellversuch SeSuS - Selbstständige Schulen und Schulaufsicht  - der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung engagiert war. Bei dem Vorläuferprojekt SeSuS ging es darum, die Schulen darauf vorzubereiten, dass sie selbstständiger werden, indem sie nicht mehr beaufsichtigt, sondern beraten werden - eine Art Paradigmenwechsel in der traditionellen Beziehung zwischen Schule und Schulamt.

Hanßen: Wir wollen wirklich steuern
Die Verantwortung in der Steuerung der Schulen ist zwischen Modellschulen und dem Land Brandenburg geteilt: Die Schulen entscheiden im Detail, die Verwaltung setzt die Ziele um, die Gesamtverantwortung bleibt bei der Behörde. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport zieht die Zügel straffer als etwa Nordrhein-Westfalen. Die Steuerungsgruppe ist fest in der Hand des Ministeriums, der Leiter der Steuerungsgruppe wird von oben "bestellt". Brandenburg hat keinen Projektpartner aus der Wirtschaft wie Nordrhein-Westfalen mit der Stiftung Bertelsmann.

"Wir wollen wirklich steuern", sagt Klaus Hanßen vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg, "natürlich fragen wir auch und lassen uns beraten, doch ich möchte eine klare Entscheidungsstruktur". Der Staat bestimmt die Leiter der Steuerungsgruppe, oder "Koordinierungsgruppe", so Hanßen, sei es auf zentraler oder regionaler Ebene: "Da haben wir auch gar nicht groß nachgefragt."

Heftiger Gegenwind
Bei allen Modellversuchen für selbstständige Schulen kann man beobachten, dass die Position des Schulleiters erheblich gestärkt wird, so auch in Brandenburg. Als Pate für dieses Modell stehen die Manager von Wirtschaftsunternehmen. Schulleiter werden Dienstvorgesetzte und erhalten damit die Kompetenzen, die bis dahin die Schulämter innehatten.

Das birgt Sprengstoff, wenn als Gegengewicht nicht auch die Rechte der Lehrer gestärkt werden, das wissen auch die Vertreter des Kultusministeriums: "Wir haben starken Gegenwind sowohl von Seiten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, als auch von Seiten des Hauptpersonalrates." Beide Organisationen befürchten eine Beeinträchtigung der Position der Lehrerinnen und Lehrer.

Die Lehrer sind "teilweise entsetzt" sagt Günther Fuchs, Vorsitzender der GEW Brandenburg. In seiner jetzigen Fassung stärke der Schulversuch die Position der Schulleitung einseitig. Kritik äußert der Landesvorsitzende an der Art und Weise, wie der Schulversuch inszeniert wird: "In Brandenburg macht man es per Ausschreibung" und fordert die Stärkung aller Beteiligten, der Schulleiter, Lehrer, Eltern und Schüler.

Nach Angaben von Fuchs sind 50 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer teilzeitbeschäftigt. Der Gewerkschafter argwöhnt, dass der Schulversuch dazu missbraucht werden könnte, zu sparen: "Ist es eine Sparvariante?" Jedenfalls sieht er "gravierende fachliche Mängel" im Konzept des Schulversuchs.

Besonders gefährlich seien Eingriffe in die Rechte der Mitarbeitervertreter: Gegen die drohende Beschneidung von Rechten der Lehrer, dem Personalrecht oder dem Beamtenrecht, will die Gewerkschaft notfalls gerichtlich vorgehen. Was in den Augen von Fuchs eine Rechtsverletzung ist, das wird im Kultusministerium als "Neudefinition von Beteiligungsrechten der Betroffenen" beschrieben.

Hanßen hat kein Verständnis dafür, dass die GEW zum Boykott des Schulversuchs aufruft, wo doch die Schulkonferenzen der Modellschulen mit Zweidrittelmehrheit bereits zugestimmt haben - Schüler mit eingerechnet. Die Fronten wirken verhärtet. 

"Macht das, kauft das"
Mehr Verständnis für den Schulversuch in seinem Land bringt der Landesschülervertreter Adrian Steinigk auf. Er findet den Versuch "an sich nicht schlecht", denn man könne "schneller arbeiten, Projekte schneller verwirklichen und flexibel entscheiden, was mit der Schule passiert".

Aufgrund von neuen "personalrechtlichen Befugnissen" können die Modellschulen Lehrer selbst einstellen. Steinigk begrüßt das: "Dann kann echter Druck auf schlechte Lehrerinnen oder Lehrer ausgeübt werden." Als unrühmliches Beispiel verweist er auf einen Französischlehrer an seiner Schule, der Witze auf Kosten der Schüler machen konnte, ohne Konsequenzen.

Wenn die Schülervertretung etwa ein Schulfest organisieren wolle, müsse sie nur mit der Schulleitung reden: "Macht das, kauft das" und schon rollt der Euro. So könnten etwa bessere und neuere Materialien für den Unterricht beschafft werden. Dies würde den Unterricht aber nur indirekt verbessern.

Arena "Wirtschaft"
Die zwölf Modellschulen werden Spieler auf dem Feld der Wirtschaft. Als "wirtschaftliche Tätigkeit" definiert das Land Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Serviceleistungen für die Wirtschaft, Vermietungen von Immobilien und Räumen, Verkauf von Dienstleistungen und Produkten.

Dabei kann die Schule selbstständig Verträge mit Geschäftspartnern abschließen, allerdings nachdem der Schulträger sie "bevollmächtigt" hat. Die Gelder fließen dann in die Ausstattung der Schulen, so dass die Schulen ihrerseits über einen kleinen Motor verfügen, mit dessen Hilfe sie aus eigener Kraft ihre Ziele ansteuern können.

Schülerinnen und Schüler werden Unternehmer mit kleinen Schülerfirmen. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport bestätigt die Praxis der Schülerfirmen in der Ausschreibung zum Modellversuch. Schon jetzt gibt es Catering-Firmen, die von Schülern geführt werden. Sie können bessere Preise als die professionelle Konkurrenz anbieten: "Das sehe ich das Problem der Konkurrenz zu anderen Unternehmen", bemerkt Hanßen. Bei Fragen des Wettbewerbsrechts oder des Steuerrechts könnte es die Schulen aus der Kurve werfen.

Werden die Schulen in Zukunft zu Litfasssäulen von Unternehmen, die Schüler zu lebenden Werbeflächen? Hanßen bestätigt diese Frage als "empfindliches Thema". Er wägt Chancen und Risiken ab: "Wenn Wirtschaft sich die Schulen krallt, müssen wir vorsichtig sein. Hier muss es Bremsen geben." Bislang sehe er nicht die Gefahr, dass Unternehmen in Brandenburg sich die Schulen "unter dem Nagel gerissen" hätten.

Die Einstellung des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ist die einer vorsichtigen Annäherung an Unternehmen als Mitspieler: "Euer Engagement ist gefragt. Aber das darf nie dazu führen, dass die Schulen zu einer Dependance von einem Betrieb werden."

Hanßen skizziert ein Bild der Zukunftschule: "Wir wollen zu Schulen kommen, die zwar nicht autonom sind, aber doch teilrechtsfähig."
Gute Ergebnisse der Modellschulen werden nach vier Jahren auf andere Schulen ausgeweitet.

Autor(in): Arnd Zickgraf
Kontakt zur Redaktion
Datum: 12.05.2003
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