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Bildung + Innovation Das Online-Magazin zum Thema Innovation und Qualitätsentwicklung im Bildungswesen

Erschienen am 08.05.2003:

"...dann hätte ich einen 24-Stunden-Job"

Ein Jahr in der Praxis: Lehrer ziehen Bilanz, Teil 1

Bildung PLUS: Was ist der größte Unterschied, wenn man von der Uni an die Schule kommt?

Deister: Der größte Unterschied ist, dass man zwischen seinem eigenen Anspruch und der Wirklichkeit hadert. Ein Beispiel: Ich unterrichte jetzt 26 Stunden die Woche - bei diesem  Pensum kann man einfach nicht alle Stunden so vorbereiten, dass der Unterricht dem eigenen Anspruch gerecht wird. Natürlich spielen auch fehlende finanzielle Mittel und die Ausstattung eine Rolle, aber das Zeitmanagement ist eindeutig das Hauptproblem.
Mit zwei Korrekturfächern und der Oberstufe kann ich nachmittags nicht noch sechs Stunden Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten - dann hätte ich einen 24-Stunden-Job. Die Unzufriedenheit resultiert teilweise aus dem Wissen, dass es besser geht, aber aus den bereits genannten Gründen eben nicht immer möglich ist.

Bildung PLUS: Wie lässt sich das ändern?

Deister: Das lässt sich gar nicht ändern. Nach einem halben Jahr spielt sich das ein, dass man guten Unterricht für alle macht, ohne jede Stunde dezidiert vorzubereiten. Entweder man bekommt ein Gefühl dafür oder eben nicht. Fürs eigene Ego muss man dann Geschenke verteilen, soll heißen: In dieser Klasse mache ich jetzt ein aufwendiges Projekt, dafür mache ich hier nur Lehrbucharbeit.

Bildung PLUS: Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Lehreraus- und -fortbildung ändern?

Deister: Ich hatte in Gummersbach eine sehr gute Ausbildung und bin von meinen Fachleitern kompetent betreut worden. Lehreraus- und -fortbildung ist einer der undankbarsten Jobs, weil man es zum großen Teil mit "fertigen" Akademikern zu tun hat, die auch fachlich sehr kompetent sind. Die haben schon ein vorgefasstes Bild des Lehrers im Kopf und lassen sich ungern völlig neue Sachen sagen. Mein Vorteil war, dass ich mich im Studium mehr um die fachwissenschaftlichen Aspekte gekümmert und mir die Didaktik hauptsächlich im Seminar angeeignet habe. Die Kritik ist ja, dass die Uni nichts mit dem Lehrerberuf zu tun hat. Meiner Erfahrung nach sind viele Studenten überhaupt nicht auf den Lehrerjob vorbereitet oder haben falsche Vorstellungen. Deshalb kann ich die Forderung nach mehr Praxis nur unterstützen. Mit einem intensiven Blick hinter die Kulissen würden viele Studenten verstehen, was es wirklich heißt, Lehrer zu sein. Natürlich gibt es jetzt schon Praktika, aber die kann man an der Uni auch leicht umgehen.

Bildung PLUS: Seit PISA wird viel über Schulreform diskutiert. Ist etwas von diesem neuen Elan in der Schule vor Ort angekommen?

Deister: Im Gymnasium neigt man dazu, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Nach dem Motto: Die Probleme haben ja die Haupt- und Realschulen oder wenn schon Gymnasien, dann nicht unseres. Das Feuer der Pisa-Diskussion ist meiner Meinung nach erloschen und viele Ansätze sind verebbt. Im Grunde ist es doch so: Man klaut in den Siegerländern wie Schweden und Finnland ein paar Sachen und belässt sonst alles beim Alten. Meine Schule ist vielleicht kein Maßstab für diese Frage, da es eine relativ neue Schule ist mit einem jungen Kollegium, das auch ohne PISA moderne Lern- und Lehrmethoden anwendet.

Bildung PLUS: Evaluation ist auch ein beliebtes Stichwort in der PISA-Debatte. Aber Lehrer lassen sich scheinbar so ungern über die Schulter schauen. Warum?

Deister: Das merkt man ja schon in der Ausbildung. Einige Lehrer haben schon Probleme damit  einen Referendar mitzunehmen. Lehrer sind umgeben von einer Aura der Selbstherrlichkeit und der Unantastbarkeit. Ich war zum Beispiel entsetzt von den ersten Fachkonferenzen, an denen ich teilgenommen habe, weil es dort keine Kultur der Kooperation und des Kompromisses gab - also den Fähigkeiten, die wir von den Schülern erwarten. Evaluation ist aber auch deshalb schwierig, weil externe Kollegen bei der einen Stunde, an der sie als Beobachter teilnehmen, nur einen sehr oberflächlichen Blick auf den Unterricht bekommen. Sobald jemand zugucken will, hat der Lehrer immer das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Ergebnisse der Schulleitung zugänglich gemacht werden oder nur in eine anonyme Studie eingehen, von der die Schule im Grunde nichts hat. Ich zum Beispiel lasse mich gerne von meinen Schülern evaluieren, hier insbesondere Inhalte und Methoden. So kann man den Unterricht besser auf die Schüler abstimmen und diese fühlen sich auch besser, weil sie ein Mitspracherecht haben.

Bildung PLUS: Alle Politiker bekennen sich zur Ganztagsschule, weil diese die Kinder anscheinend besser fördert, soziale Ungerechtigkeiten ausgleicht etc. Sehen Sie das auch so?

Deister: Für Grund-, Haupt- und Realschulen halte ich Ganztagsschulen für sinnvoll, aber beim Gymnasium muss man stark differenzieren. Hier spielen Faktoren wie die Strukturen der Schule, das Umfeld und andere Dinge eine große Rolle. Ganztagsangebote können aber teilweise schon deshalb gut sein, weil es für einige Kinder besser ist, nachmittags in der Schule zu sein als zu Hause.

Bildung PLUS: Das halbe Jahr Ferien, mittags um eins Feierabend, unkündbar und überbezahlt. Was sagen Sie zu dem schlechten Image der Lehrer in der Öffentlichkeit?

Deister: Das ist mir egal, weil ich weiß, dass es nicht so ist. Es ist müßig, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das sind Vorurteile, die einfach festsitzen. Natürlich gibt es Lehrer, die dem Klischee entsprechen, das ist wie in jedem anderen Beruf auch. Selbst im Lehrerkollegium gibt es eine Abstufung zwischen Lehrern mit "richtigen" Fächern und denen, die den "Rest" unterrichten.

 

 

Autor(in): Udo Löffler
Kontakt zur Redaktion
Datum: 08.05.2003
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